Bericht Nr. 9

Logbuch der Luv

Hafen von Lagos, Südportugal.

Wetter: Sonne, heiß, windstill

Es ist Zeit für eine Zwischenbilanz. Die Luv und ihre Crews haben nach  zehn Reisewochen und 2595   Seemeilen, 28  Häfen und nach Elbe, Nordsee, englischem Kanal, Biscaya und Westatlantik  einen kleinen Rückblick verdient.

Was bleibt in Erinnerung?  Dass Europa ein großartiger und zugleich weitgehend unbekannter Kontinent ist. Dies vor allem: Atemberaubende Landschaften, die von See betrachtet dem Reisenden eine neue Dimension erschliessen . Faszinierende Städte, kultur- und geschichtsbeladen und zugleich modern und lebendig. Gastfreundliche und hilfsbereite Menschen wo immer wir unser Schiff angebunden haben. ein Beispiel von vielen:  Im bretonischen  Lezardrieux  bin ich morgens in aller Frühe durch den Nieselregen zum Bäcker marschiert um die in Frankreich unvergleichlich guten Baguettes zum Frühstück zu holen. Der steile Weg vom Hafen in die Altstadt auf dem Hügel ist lang und je länger desto nasser. Bevor ich den Rückweg antreten kann, spricht mich ein Mann an. Ob ich denn zum Hafen wolle und ob er mich bitte dort hinfahren könne. Ein Taxifahrer, der ein Geschäft wittert?  Ein Bretone mit großem Herzen und Zeit für einen Umweg!

Warum sind wird nicht schon  längst in Brügge oder Portsmouth, in la Rochelle oder in Lagos und Lissabon gewesen? Wir fliegen ein ums andere mal nach Malle und in die Domrep und lassen uns wochenlang in der Sonne braun brutzeln und könnten doch mit weit weniger Aufwand unseren Erlebnishorizont direkt vor unserer  Haustür mit so vielen Grossartigkeiten erweitern.

Ich merke schon, ich gerate ins Schwärmen. Aber in den vierzig Jahren, in denen ich zumeist in der Ostsee herum gesegelt bin, gab es kaum eine vergleichbare schöne Reise.

Zugegeben, die  von der Hanse geprägten Metropolen im baltischen Raum, das paradiesische schwedische Schärenarchipel, die romantische dänische Südsee oder die dramatische Landschaft der Lofoten im Nordmeer sind allemal drei Reisen wert. Aber wir wissen jetzt,   europas Westküste wird von deutschen Seglern sehr zu Unrecht links liegen gelassen.  Wir haben ab dem englischen Kanal in keinem Hafen oder auf See die schwarz-rot-goldene Flagge am Heck von Segelbooten gesehen. Die vielen Schiffe, die jetzt unterwegs sind nach Las Palmas zum Start der ARC-Regatta sind zumeist auf direktem und kurzem Kurs quer durch die Biskaya gehastet. Die haben alle was verpasst.

Keine Überraschung und gleichwohl eine Bemerkung wert: es gab noch nicht ein einziges mal Streit an Bord. Das ist keine Selbstverständlichkeit. Sechs oder sieben erwachsene Individualisten wochenlang auf engstem Raum, die Privatheit reduziert auf wenige Momente.  Da ist ein hohes Maß an Toleranz gefragt und Zurückhaltung bei der Pflege der jeweiligen privaten Macken gefragt. Aber in dieser Hinsicht  haben wir alle miteinander viele Jahrzehnte Erfahrung sammeln können, angefangen bei der gemeinsamem Kuttersegelei auf der Elbe.

Morgen verlassen wir Europa,  jedenfalls das europäische Festland. In Südportugal bin ich nach kurzem Heimaturlaub wieder an Bord gegangen.  Vor uns liegen etwa 500 Meilen offene See bis Madeira. Politisch gehört diese Insel zu Portugal und damit noch zu unserem Kontinent.   Wir wissen aber nicht viel über Madeira, ausser das die Insel weit weg ist und das auch dort mit dem Euro bezahlt wird. Vielleicht gibts aber auch dort noch europäische Überraschungen. Wir freuen uns drauf.

Heiko Tornow

Bericht Nr. 8

Auf See

Querab  Cap Finisterre, Nordwestspanien

Wetter: Regen, Nordost 0 bis 3

Ich habe nichts mehr zu sagen. Als Skipper der Luv bin ich abgelöst. Seit Eggert vor ein paarTagen zur Crew gestoßen ist, hat er das Sagen an Bord. Dabei sagt er meist gar nichts.  Stundenlang steht er am Ruder, kontrolliert stumm Kompass, Kurs und Kimm und lässt die übrige Besatzung weitestgehend in Ruhe. Er gilt in der Segelscene als „Der große Schweiger“.  Nur manchmal verblüfft der neue Schiffsführer mit wort- und detailreichen Ausführungen zum Wetter. Warum etwa die gekrümmten Isobaren in einer sich auflösenden Occlusion mit nachfolgendem Trog oder sich vertiefendem Hoch am Rande einer unklaren Grosswetterlage für eine Winddrehung um 27 Grad nach ostsüdost verantwortlich sind. Jedenfalls hört es sich so ähnlich an, wenn ein ausgewiesener Fachmann mit zahlreichen nachgewiesenen Wetterseminarbesuchen über Meeresmeteorologie spricht.   Wenn es dann wie gewöhnlich anders oder sogar umgekehrt kommt, weiß Eggert natürlich genau warum.

Davon wird das Wetter leider auch nicht besser. Seit Tagen ruht sich die Luft aus. Keine Isobare bringt sie auf Tempo. Kein Druckunterschied setzt sie in Bewegung. Heute hat der Wind zwar – wie von Eggert prognostiziert- auf ostnordost gedreht. Aber das eine schlappe  Beaufort reicht nicht mal aus,  um mit dem mittschiffs fixierten Großsegel das Schiff in der kabbeligen Dünung ein wenig zu stabilisieren. Es schaukelt gewaltig.  Und der Motor lärmt. Es regnet und es ist kalt. Seefahrt kann so schön sein – an anderen Tagen. Zisch sagt, das alles hätte er nicht gebucht und er wolle sein Segelgeld zurück, seine Kostenbeteiligung für die Segelreise mit der Luv. Daraus wird nix. Er muss ja auch nicht draufzahlen bei der nächsten schönen Brise und wenn die Sonne wieder wärmt.

Die neue Arbeitsteilung zwischen mir und dem neuen Kapitän ist keine Folge einer wüsten Meuterei sondern kluge Personalpolitik . Erstens ist mein Nachfolger eh der erfahrenere und bessere Segler. Er weiß nicht nur alles übers Wetter sondern zweitens als Ingenieur und Elektroniker kann er auch alle elektrischen und mechanischen Ausrüstungsgeräte auseinander schrauben, entkernen, den Fehler suchen und reparieren und danach zur vollsten Funktionstüchtigkeit wieder in Betrieb nehmen. Auswendig!

Zum Beispiel unser AIS-Gerät. Mit dieser Erfindung können Schiffe ihre Position, ihren Kurs und noch eine Menge andere Daten anderen Schiffen mitteilen ( und weltweit jedem Interessierten, incl. der amerikanischen Ausforscher von der NSA .) Das Automatische Informations System  ist sehr nützlich auch für die Leser dieser Zeilen. Wer wissen will, wo die Luv gerade ist, lädt sich das App „Marine Traffik“  herunter und nach ein paar Klicks sieht man die Luv  auf einer Karte durch den Atlantik schippern. Auf 5 Meter genau.  Wer gerade jetzt mal nachsehen würde, fände uns buchstäblich am Ende der Welt. Das Cap Finisterre heißt so, weil seit altersher hier die Alte (europäische) Welt im Wortsinn ihr Ende fand. Wer von hier aus im glaubenswirren Mittelalter weiter segelte, riskierte über den Rand der Scheibe zu fallen.

An Bord der Luv war das  AIS durchgeschmort, keiner weiß warum. Eggert hat das neue mit der Unterstützung von Claus in zweitägiger Bastelarbeit wieder hingekriegt. Drei Tage hat er anschließend für die Erläuterung benötigt, was denn nun warum und wie mithilfe von aus-und umgebauten Antennen -Splits, hochkomplizierten Platinen  und  sonstigen kryptischen Bauteilen verändert und verbessert wurde. Weiß der Teufel, warum er der „Schweiger“ heißt.

Jedenfalls ist die Luv bei ihm in allerbesten Händen und ich kann für ein paar Tage mit gutem Gewissen auf Heimaturlaub fahren.

Heiko Tornow

Vom geplanten Untergang nach länger Seefahrt

Bericht Nr 7

Auf See vor Nordspaniens Küste, Wind 0-1

Unter Motor

Über was man so redet, beim gemütlichen Essen . Heute ist es noch warm, die tiefstehende Venus, der Abendstern,  ist eben gerade nach nur wenigen Minuten ihres frühen Leuchtens hinter den Ausläufern der nahen baskischen Pyrenäen untergegangen.

Untergang. Das ist das willkommene Stichwort für ein anregendes Tischgespräch im Cockpit der Luv. Es stellt sich nämlich als Ergebnis einer kleinen Umfrage entlang der Sitzordung von  steuerbord übers Heck nach backbord heraus, das alle fünf Crewmitglieder dermaleinst untergehen wollen, bevorzugt in der Nordsee, vor Cuxhaven. Seebestattung ist ja ziemlich populär geworden und für wen, wenn nicht für mehr oder weniger betagte Seebären, bietet sich so etwas als letztes Reiseziel an?

Michael berichtet anregend von einer solchen Zeremonie, die unlängst vor Neustadt vonstatten ging. Er weiß davon nur aus zweiter Hand, von einem Seglerfreund, das spricht dafür, das es sich nicht um Seemannsgarn handelt. Michael also erzählt: Die kleine Trauergemeinde hatte sich auf einer schmalen Barkasse eingeschifft und war zunächst frohen Mutes in See gestochen. Die bekränzte Urne des verstorbenen Freundes, mutmaßlich – so Michael – auch ein Segler,  besetzte einen zentralen und bekränzten Ehrenplatz an Deck.

Schon in der Hafeneinfahrt, die sich nach Osten öffnet, stand gehöriger Schwell, weiter draußen wurde es weit  wackeliger. Der grossen Mehrheit an Bord wurde rasch und nachhaltig schlecht und übel. An der amtlich zugewiesenen Urnenabwurfzone angekommen musste sich der Seebestatter energisch  durchsetzen. Man solle gefälligst mal aufhören mit dem Übergeben, das zerstöre doch irgendwie die notwendig ernste Stimmung.

Claus nimmt noch ein zweites mal von unserem Fischgericht und sagt, ihm wäre es egal, ob bei seiner eigenen Seebestattung gekotzt würde, er würde auf jeden Fall die Nordsee als Seemannsgrab bevorzugen, auch wenn die Gefahr dort größer sei, sich bei der Bekannt- und Verwandtschaft posthum unbeliebt zu machen. Elbsegler Eggert teilt mit, er sei auch für die See zwischen Helgoland und Cuxhaven, er habe das in seinem Testament noch nicht festgelegt. Das klingt so, als ob sein letzter Wille  demnächst auf der Tagesordnung stünde.

Unser Segelkamerad Loewe hat eigene lustige Erfahrungen mit diesem eigentlich traurigen Thema gemacht. Es ist schon ein paar Jahre her, da segnete in einer schottischen Kneipe sein bester Freund, ein bekannter Hamburger Künstler, das Zeitliche. Er war mit seinem Boot nach Edinburgh gesegelt und hatten seinen Landfalll nicht lange überlebt. Herzinfarkt. Loewe übernahm den  letzten Dienst und begab sich nach Edinburgh, die sterblichen Überreste nach Hamburg heimzuholen. Die befanden sich bereits in einer Urne.

Loewe  hatte Vollmacht, er unterzeichnete diverse Papiere und packte den Freund dann zum sicheren und bequemen Transport in eine Plastiktüte. Vor dem Heimflug besuchte er noch besagte Kneipe und feierte mit der Urne auf dem Tresen und zahlreichen berührten und begeisterten Schotten zünftigen Abschied. Der Freund, so Loewe, sei ein großer Whiskykenner gewesen und die Einheimischen hätten das sehr zu schätzen gewusst.

In Hamburg kümmerten sich weder Zoll noch Einwohnermeldeamt um den Verblichenen und seinen Verbleib und so fand ohne behördlichen Segen der Einhandsegler ein paar Wochen später – übrigens bei allerbestem Wetter und vor zahlreichen Zeugen, die alle zum Schweigen verpflichtet wurden – in einer sanft geschwungenen kleinen Bucht vor

der dänischen Insel Avernakö seine letzte Ruhestätte.

Diese Ordnungswidrigkeit ist natürlich längst verjährt und nun darf darüber straflos berichtet werden.  Der genaue geografische Ort  der Seebestattung ist präzise in einer geheimen Seekarte eingetragen. Und, so Loewe, er kenne einige, die an gleicher malerischer Stelle mit ihrer eigenen Asche eine winzige Untiefe  bilden möchten.

Das anregende Abendessen an Bord der Luv geht mit einem Glas guten spanischen Rotweins zu Ende. Whisky haben wir nicht an Bord. Wir leben schließlich noch.

Heiko Tornow

Artikel 6: Auf See

Von Arcachon nach Bilbao

Wetter: bft2. Wolkenlos.

Nun muss ich aber mal wirklich meckern. Der Hafen der südfranzösischen Stadt 

Arcachon ist eine Zumutung. 80 € (in Worten : achtzig Euro !) für einen Tag . Und dafür diese Leistung: ein Liegeplatz von nur acht Metern Länge für unsere 14,50 m-Luv, eine einzige, dazu noch absolut unzumutbare Dusche in einer Marina für immerhin 3000 Boote; von der einen einsamen Toilette will ich schweigen, es könnten sich zartbeseitete Leser über allzu grobe Vokabeln erregen.

Das sonst in allen europäischen Häfen mittlerweile obligatorische freie WLAN für den Zugang ins Internet? Fehlanzeige. Wir hören ein „Excuse‘  „, ein freundliches Bedauern auch wegen des abenteuerlichen Liegeplatzes, an dem uns bei Niedrigwasser tatsächlich die sprichwörtliche  Handbreit Wasser unter dem Kiel fehlt  und ein „Regret“ auch  wegen des wucherischen Hafengeldes; es handele sich bei der Marina nicht um einen kommunalen Hafen sondern um einen privat betriebenen.

Ganz besonders privat betrieben ist die Poisonnerie, die man nach einem zweieinhalb Kilometer langen Marsch gleich neben dem Bäcker und dem Supermarkt erreicht. Wir wollen ein Dutzend Austern kaufen, wie zuvor schon in den von der Luv angelaufenen Fischereiplätzen am Atlantik. 5,80 Euro hatten wir bislang für das Dutzend der schlürfigen  Muscheln  bezahlt. Hier sollen wir nun 23,60 Euro für zwölf Stück hinblättern. Mehr als viermal so viel!  Frische  Flossen-  und Krustentiere gibt es reichlich in dem Fischladen, aber alles zu abschreckenden Preisen.

Wir kaufen nebenan erschwingliche Bratwurst.

Wohin sind wir geraten? Im Hafenhandbuch findet sich eine Menge Unfug und Wahrheitswidriges über Arcachons Marina. Etwa dass für Gäste 250 Liegeplätze reserviert seien ( siehe oben!) oder dass der Hafenkapitän englisch spreche. Die überzeugte Einsprachigkeit des sonst sehr freundlichen Personals ist allerdings ein sicheres Kennzeichen fast aller Franzosen; wir haben jedenfalls kaum polyglotte getroffen auf unserer fast 900 Meilen langen Reise entlang der frankophonen Atlantikküste. Selbst Jugendliche und Studenten passen, wenn sie ihre Muttersprache verlassen sollen. Der Englischunterricht in Frankreich sei sehr schlecht, sagen sie unisono.

Auf der anderen Seite: Unser Französisch ist jammervoll. Zeichensprache und heiteres Worteraten helfen weiter.

Dass Arcachon für fremde Segelschiffe keine gute Adresse ist, scheint sich herumgesprochen zu haben. Wir sind hier wirklich und wahrhaftig das einzige Boot mit fremder Flagge. Dabei hat die Stadt eine einzigartige Landschaft zu bieten, die jeden Umweg rechtfertigen würde. Das nachhaltigste Erlebnis bietet die große Wanderdüne, die schon bei der Ansteuerung von See aus beeindruckt.  Wir klettern die 170 in den knietiefen weichen Sand gelegten schiefen Stufen hinauf und mühen uns barfuss weitere 30 Höhenmeter. Die Belohnung ist eine atemberaubende Aussicht auf das weite Watt der großen Bucht und das von Wind und Wellen weich modellierte vorgelagerte Sandhaff.

Also: Arcachon immer wieder. Aber in der Bucht ankern und mit dem Gummiboot an Land.

Heiko Tornow

Artikel 5: Auf der Reede in der Bucht von Arcachon

75 Meilen immer nach Süden. Der gelbe Strand ist nur drei Steinwürfe entfernt.

Die Luv segelt bei schwachen  halbem Wind ganz dicht unter Land im flachen  Wasser von der Girondemündung nach Arcachon; das ist dort, wo Europas grösste Wanderdüne die millionenfach bestiegene Attraktion ist. Im Seehandbuch heißt es, die Küste sei bis dorthin ohne jede Struktur und langweilig.  Keine Stadt, kein Hafen, nicht mal ein Leuchtturm. Nur eine endlose, schwach bewachsene Düne, länger als 120 Kilometer.

Aber immer mal wieder große graue Betonklötze am Strand. Durchs Fernglas sind sie gut auszumachen: Bunker von Hitlers Atlantik-Wall. Sie haben allesamt die geplanten tausend Reichsjahre nicht überdauert und sind – meist in einem kolossalen Stück –  den steilen Hang zum Meer hinunter gerutscht, das Fundament unterspült von den allfälligen Herbststürmen in der Biskaya. Klotzige Mahnmale, alle halbe Stunde.

Die Luv ist allein auf See. Bis zum Horizont kein Segler. Vom frühen Morgen bis in den Abend keine Chance auf eine kleine Privatregatta mit einem Boot auf gleichem Kurs. Niemand im Sicht. Das verwundert ein wenig, schließlich sind es nur noch drei wertvolle Tage bis zum Ende der großen Sommerferien und ein besseres Segelwetter als heute ist nicht denkbar. Sogar das französische Militär scheint ein Herz für Wassersportler zu haben. Das Revier, durch das wir heute schippern, ist ein sonst viel genutztes Schiessgebiet. Der Hafenmeister in Royan hat uns versichert, bis zum Wochenende würde nicht auf uns geschossen. Die Artillerie sei entweder selbst im Urlaub oder auf dem Weg nach Syrien.

Möglicherweise stand diese Nachricht nicht in der Zeitung und die Yachteigner hier trauen sich einfach nicht aufs offene Meer. Das ist natürlich Unfug.  Die Franzosen sind eine unvergleichliche Seefahrer- und Seglernation. Bei internationalen  Regatten sahnen sie regelmäßig die schönsten Trophäen ab. Die Weltumrunder  und Einhandsegler der Grand Nation haben Heldenstatus. Nach  Eric Tabarly zum Beispiel  wurde jetzt posthum ein sündhaft teures Yachtzentrum für Super- und Rekordboote an der Westküste benannt, den Ehrentitel „Kommandeur der Ehrenlegion“ hatte ihm zu Lebzeiten noch Staatspräsident De Gaulle verliehen. Tabarlies letztes Boot, die „Pen Duik“  liegt in seinem Hafen an Land.  Er hatte es eines Nachts in der irischen See während einer seiner vielen atemberaubenden Abenteuer unfreiwillig  verlassen. Angeblich musste er mal. Die allermeisten um Leben gekommenen Segler werden übrigens, wenn sie überhaupt gefunden werden, mit offener oder ohne Hose geborgen.  Offiziell  hieß es, der Grossbaum habe Tabarly von Bord gefegt. Er war nicht angeleint.

Wir haben daraus gelernt, dass großer Ruhm nicht vor Torheit schützt und zwei Regel beachtet werden sollten: Erstens niemals auf See außenbords  pinkeln – und wennschon – zweitens dann mit Sicherheitsgurt.

Zurück zur wundersam  yachtfreien See.  Nirgendwo in Europa sind so viele Freizeitschiffe zugelassen wie in Frankreich. Die Zulassungsnummern in den französischen Segeln sind fünfstellig, in Deutschland kommen wir locker mit vier Stellen aus. (Die Luv hat die Nummer GER5148) . Hamburgs Yachthaven  in Wedel, Deutschlands größter,  bietet Platz für 2000 Boote. In  La Rochelle  allein passen fast dreimal so viele hinein und Arcachon, unser Ziel für heute, steht dem nicht viel nach.

Wir lesen, dass die dortige Warteliste  einen Liegeplatz  erst in 26 Jahren in Aussicht stellt. Ob die Skipper etwa darum  ihren Hafen nicht verlassen, weil weggegangen, Platz vergangen? Haben die überhaupt Platz für Gäste? Sicherheitshalber beschließen wir, heute Nacht in einer geschützten Bucht in der Nähe der Stadt vor Anker zu gehen.

Heiko Tornow

Artikel 4: Der Hafentag

Logbuch der Luv

La Rochelle , Hafentag

Geschichten über die Fortbewegung mit Segelbooten lassen sehr oft das Wichtigste aus: Die Häfen.

Die meiste Zeit liegen die Yachten schließlich angebunden im sicheren Hafen anstatt ungebunden auf den Wellen zu tanzen. Und ist das Schiff doch mal auf See, dann ist der Hafen immer das Ziel.(An dieser Stelle lassen wir mal die Betrachtung außer acht, wonach für den wahren Segler der See-Weg allein schon das Ziel sei) . Eben haben wir einen Hafen verlassen, von dem uns zuvor leider niemand abgeraten hat. Pornichet ist ein trister, an der Mündung der Loire gelegener Ort. Die Luv hat dort für eine Nacht Rast gemacht, weil die Crew nach 85 Seemeilen Schaukelei keine Lust mehr hatte, noch weitere zwei Stunden in den späten Abend hinein bis zum nächsten kuscheligeren Fischerhafen zu segeln. Der Supermarkt dort – wenn es denn einen gegeben hätte – wäre garantiert schon geschlossen gewesen und unsere Vorräte, nicht nur an Wein und Bier, sind auf null. Pornichet also, eine langgestreckte Bucht, die von einem bis zum anderen Ende mit massentouristisch nutzbaren immer gleich öden Betonklötzen bebaut ist. Ich bin sicher, diese Stein gewordene Einfallslosigkeit ist allein einem einzigen Architekten gelungen. Ein zweiter Baumeister hätte sicher für ein ganz klein wenig Abwechslung gesorgt.

Weil mithin über Pornichet eigentlich nichts weiter zu berichten wäre, will ich die Gelegenheit nutzen, über das zu schreiben, was uns Seglern in Häfen wirklich wichtig ist. Ich meine die Fascilitäten. Oder auch Toiletten und Duschräume genannt. Nichts ist wichtiger, als nach langer Sturmfahrt mit heißem Wasser das Salz aus den verklebten Haaren und vom ausgekühlten Körper zu spülen. Die Qualität und Verfügbarkeit der Hygiene-Gebäude bestimmt daher für Wassersportler den Rang der Häfen in der Qualitätshitliste.

Denken wir, wenn wir uns an den letzten Helgolandaufenthalt erinnern, an die rotfelsige „Lange Anna“ oder den Helgoland-Hummer? Keineswegs. Die Spitzenmeldung auf der offiziellen Website zur größten deutschen Hochseeregatta, der Nordseewoche an Pfingsten 2013, war diese Mitteilung: “ Mehr Toiletten und Duschen im Hafen Helgoland!“

 Kommt man, wie gegenwärtig die Luv auf der Langfahrt über Deutschland hinaus nach Westen, festigt sich in allen EU-Anlegestellen die gleiche Erfahrung: Die Planer und Erbauer von Hafenklos und Hafenduschen sind sämtlich keine Segler. Sonst wüssten sie nämlich, dass die Crews in aller Regel mit Jacke, Hemd und Hose, mit Handtuch und Kulturbeutel zur Körperpflegestelle laufen. Wohin aber mit alldem? Keine Ablageflächen nirgendwo, kaum Haken, um die Utensilien loszuwerden. Dann steht also Hein Seemann halbnackt vor dem Waschbecken, die Klamotten zwischen die Knie geklemmt und putzt sich die Zähne. Unter der Brause bietet sich der Trick mit den Knien eher nicht an. Waschraum im HafenHeute früh, in der Dusche von La Rochelle, wird ein weiterer Mangel offenbar. Sowohl Kleidung als auchKultur können kunstvoll auf einen Knopf geknotet werden. Die Schuhe bleiben am Boden. Ein grober Fehler. Per Knopfdruck schiesst es mit Hochdruck aus der Brause und setzt die winzige Kabine unter Wasser. Die Schuhe auch. Regelbar sind Menge, Druck und Richtung des alles befeuchtenden Strahls nicht. Dafür ist die Temperatur angenehm warm. Das ist nicht immer so. In Pornichet gibt’s zwar auch keine Haken und Ablagen, dafür ist das Wasser ausschließlich knallheiß. Die Franzosen bringen in ihrer Hafen-Douche nicht nur empfindliche deutsche Gäste sondern womöglich auch ihre Hummer um. Nicht wenige Segelboote an der Atlantikküste führen tatsächlich Hummerkörbe als Fanggerät mit an Bord.

Apropos warmes Wasser. Irgendwer sollte den Engländern mal verraten, dass die Einhebelmischbatterie bereits erfunden wurde. Mindestens in allen von uns dort angelaufenen Ports war diese nützliche Neuerung unbekannt. Links warm, rechts kalt, mischen in der hohlen Hand. Wenn irgendwer in Frankreich mit Blick auf Elbphilharmonien, Bahnhöfe und Flughäfen Hohn und Spott über unfähige deutsche Grossprojektplaner ausgießen sollte, darf man ihm entgegenhalten : „Port des Plaisance La Rochelle“. Mit 5000 Liegeplätzen der mit Abstand größte Sportboothafen Europas. Noch nicht ganz fertig. Aber die Duschen sind bereits verschimmelt. Die Lüftung wurde vergessen. Vordeckdusche

Zum Thema Toiletten noch etwas Versöhnliches. Zwischen Pornichet und La Rochelle bleiben wir zwei Tage auf der wirklich traumhaften Insel Isle D’yeu. Auch dort keine Haken und Ablageflächen aber ein Schild an der Tür: „Geschlossen ab 20 Uhr.“ Was machen wenn man nachts mal muss? Das Bordklo, im Hafen sonst tabu, kommt zu Ehren. Beim Pumpen im dustern spühlt es mit einem mal hell grünes Meeresleuchten ins Becken. Kann man feiner pinkeln?

Heiko Tornow

Artikel Nr. 3

Logbuch Luv. 21. August 2013
3.etappe: Von Guernsey nach Nantes

Wetter wolkenlos, bft2-3

Der volle Mond macht sich im Westen daran, unterzugehen, die Sonne
versteckt sich noch unter dem östlichen Horizont; aber ihre Strahlen
beleuchten bereits die dünnen Kondensstreifen von einem halben Dutzend
hoch fliegender Jets , die Kurs auf Paris nehmen. Grelle Striche auf
gelbblaurosapastellfarbenem Himmel. Eine durchaus kitschige Kulisse, wenns
nicht alles wirklich echt wäre.
Wir sind um fünf Uhr ausgelaufen, einem Rat des hier unentbehrlichen
englischen Seehandbuches „Reeds“ folgend, wonach es unbedingt notwendig
sei, die berüchtigte Meerenge zwischen der bretonischen Insel Ouessant
und dem französischen Festland genau bei höchstem Hochwasser zu
erreichen. Dann nämlich würde uns ein schneller Gezeitenstrom
einigermassen sicher durch den engen Chenal du Four mitnehmen.
Ouessant, Chenal du Four, Raz des Saine, diese Ortsnamen stehen seit jeher
für Sturm, Schiffbruch, Verderben. Nur wenige Küstenstriche auf der Welt
haben bei Seeleuten einen so schlechten Ruf. Das Cap Horn vielleicht oder
der Malstrom bei den Lofoten und die Jammerbucht im Skagerrak .
Das dramatische Hubschrauberfoto des Wärters, dessen granitener
Leuchtturm La Jument von einem gewaltigem Brecher übertost wird und der
sich vor dem sicheren Tod eben gerade durch eine kleine Tür retten kann
fehlt in keiner Bildergalerie. Massiver kann die Natur ihre Dominanz
über den Menschen nicht belegen.
Genau in dieses verrufene Seegebiet also haben wir uns gewagt. Der graue
Leuchtturm aus dem Foto ist eben an Steuerbord in Sicht gekommen. Sein
rotes Feuer mit der Kennung „Blitz Gruppe 3, Wiederkehr alle 15 Sekunden“
, wird gleich verlöschen, sobald die Sonne vollständig über die Kimm
gestiegen ist. Zahllose Wracks bedecken den Meeresgrund vor Quessan und
jede Menge eungepflegte Seemannsgräber könnten mahnen vor den zahlreich
verteilten scharfzackigen Klippen.
Von der Biskaya rollen auch schon fünf Meter hohe Wogen heran, zwischen
Wellenkamm zu Wellenkamm liegen vielleicht 70 Meter. Die Luv klettert
hoch, rutscht runter.
Das war’s dann aber auch mit der Gefahr fürs erste. Die hohen Wellen sind
alter müde gewordener Schwell, kraftloser Rest eines längst vergangenen
Sturms im fernen Atlantik. Der jetzt flaue Wind misst schlappe 8 Knoten,
die Sicht ist gut, es ist trocken und gegen Mittag sogar warm. Im „Reeds“
heißt es, man solle auf Untiefen und Steine achten. Machen wir eigentlich
immer. Also alles gut.
Bedauerlich nur, dass der Kaffee dem Rudergänger in seinem Becher allzu
rasch kaltgepustet wird. Von dem reißendem Strom in der Meerenge nehmen
wir gelassen Kenntnis: bei sechs Meilen Fahrt durchs Wasser machen wir
laut Navigationskomputer fast zwölf Meilen Speed über Grund. Respekt.
Aber sonst? Kaffeefahrt!
Damit ernten wir nun keinen seglerischen Ruhm. Aber – unter uns- es ist
der Luv-Crew lieber so. Wer will schon ein Seemannsgrab?
Heiko Tornow

Artikel Nr.2

So hier kommt der zweite Artikel von Bord.

Kommentare sind erwünscht.

Mantel von unauffälligem Schnitt und Farbe
Logbuch der Luv,

Yarmouth, Isle of White,  Englischer Kanal
Wetter : Suedwest 5.

Wir machen die Luv klar für den Sprung über den Kanal. 82 Seemeilen bis
zur Insel Guernsey. Wir dürfen dort nicht vor 10.30 Uhr ankommen weil uns
sonst harte Gezeitenströme das sichere Einlaufen unmöglich machen. Also:
Leinen los erst  um 18 Uhr, ein langer Törn durch die Nacht. Ich habe
schon mal auf Vorrat gekocht, eine Art Coq  Au vin, der hat sich bereits
auf diversen Langfahrten bewährt.
Eigentlich hätten wir unseren Liegeplatz in Yarmouth bereits um 12 Uhr
verlassen müssen. Beim Hafenmeister haben wir eine Verlängerung unserer
Liegezeit beantragt. Er entschuldigt sich, dass er dafür zwölf Pfund
Gebühr kassieren müsse. Unsere betrübten Gesichter motivieren ihn zur
Großzügigkeit : “ Ich hab eure Schiffslänge ein wenig reduziert.“ Kurze
Schiffe kosten weniger. Unser Boot  ist nach englischer Rechnung jetzt nur
noch 11 Meter lang.
Einen Lotsen für die trickreichen Gewässer, die  vor uns  liegen,
brauchen wir nicht. Peter „Zisch“, mal pingeliger Navigator, mal
verlässlicher Frühstücksbeauftragter, mal handwerklich perfekter
Tampenbetakler, kennt hier im Solent zwischen Südengland und der Isle of
White jede Tonne und jede Untiefe. Guernsey, diesen Heimathafen der
Steuerflüchtigen, kennt er natürlich auch. Zisch segelt seit 54 Jahren.
Da sind ihm nur wenige europäische Regionen mit Küste fremd geblieben.
Noch ein paar Jahre mehr an seglerischer Erfahrung hat Werner “ Loewe“
auf seiner Logge.  Loewe hat in der Crew die Rolle des maritim bewanderten
Geschichtenerzählers übernommen, unverzichtbar auf langen Törns. Ein
Zitat aus dem längst vergriffenen Band „Seemannschaft “  von  1957 wird
immer gern beschmunzelt. Es stammt aus dem Anhang ‚Yachtgebräuche‘: „An
Land trägt der Seemann einen Mantel von unauffälligem Schnitt und Farbe.
Dazu schwarze Schuhe.“
Dass solche Sitten schon sehr lange aus der Mode gekommen sind , wird uns
bei jedem Landgang neu  bewusst.
James, der mit seinem Zopf  und Bart so aussieht, als wäre er Komparse in
einem Wikingerfilm, ist noch nicht ganz Rentner. Er hat seine solide
Seemannschaft als Kuttersegler vor einem halben Jahrhundert  unter Loewes
Kommando auf der Elbe erlernt. Rechnet man das Alter des Luv-Eigners und
das der anderen drei Senioren in der Crew zusammen, kommt man auf einen
respektablen Schnitt.  Noch respektabler dürften die Zahl der Seemeilen
sein, die wir vier als maritime Lebensleistung abgesegelt haben.
Überschlägig weit jenseits der 100000.
Alter zahlt sich in England übrigens aus. In Portsmouth besichtigten wir
gestern das Flaggschiff von Lord Nelson, die „Victory“. Der Eintrittspreis
von stolzen  17 Pfund pro Nase ist für die Generation 60 plus  um ein
Pfund  reduziert. Auch die Fähre war billiger.
Unsere beiden Joungster Arne (55) und Gero (40) mussten den vollen Preis
zahlen. Und auch sonst sehen wir für den Skipper und den „Moses“ nur
Nachteile in deren Jugend. Zisch prahlt ein wenig: „Wir haben von der
Seemannschaft schon  so viel vergessen, wie Ihr nie gelernt habt.“ Arne,
der bereits über den Atlantik geschippert ist und Nord- und Ostsee rauf
und runter, nimmt’s gelassen.
Ohne Zwischenfälle hat er die Luv über 640 Seemeilen unserer Kleinen
Weltreise geführt. Über Helgoland, Den Helder, Zeebrügge,  diverse
Häfen im englischen Kanal  und jetzt nach Guernsey. Ich nehme mal an, wir
werden auch dort heil ankommen.

Heiko Tornow
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Von Links: Heiko, Zisch und Loewe