Und schon wieder zwei Handbreit Wasser überm Kiel

 Bericht 20

Position 16Grad 25 Minuten N

28 Grad 22 Minuten W

Wetter : Sonnig, leicht bewölkt. Wind NO 5 bis 6

 Was dem Fussballer der Rasen, ist dem Seemann das Wasser: sein eigentliches Element. Man sollte meinen, Segler könnten gar nicht genug davon bekommen. Diese Annahme gilt mit zwei Einschränkungen. Zum einen ist zu viel Wasser im Rumgrog durchaus unbeliebt in Seefahrerkreisen, zum anderen mag niemand zwei Handbreit Wasser über dem Kiel.

Genau soviel salziger Ozean schwappt heute früh bis an die Bodenbretter im Salon der Luv. Wasser im Schiff! Das darf nicht! Und so viel! Das muß raus. Sinken wir? Alle Mann an die Pumpen! Wo ist der Einbruch? Ist das Rettungsboot klar? Müssen wir jetztz gleich SOS morsen oder reicht Mayday oder gar nur PANPAN PANPAN PANPAN?

Die elektrische Lenzpumpe gibt rasch auf. Die Handpumpe im Cockpit funktioniert einwandfrei, wurde gerade erst erneuert. Langsam sinkt der Wasserpegel und die Hoffnung steigt. Der Notruf bleibt ein nicht ausgesprochener Gedanke.

 

Wir nehmen die schweren Bodenbretter hoch. Die Vorräte, die in der Bilge über dem Kiel lagern, schwimmen, viele Dosen haben kein Etikett mehr. Das gibt demnächst Überraschungsmenues: Rote Beete mit Apfelmus oder Eierravioli mit Ananas. Mit Eimer und Feudel macht die Mannschaft Reinschiff im abgesoffenen Rumpf. Till taucht derweil hinten in die Backskiste unter und fahndet nach dem Leck. Wir haben einen bösen Verdacht. Schon einmal waren durch ein defektes Lenzrohr im Heck einige hundert Liter Atlantik in die LUV gelaufen. Das war während des Blue-Race von Newport bei New York nach Hamburg. Die Männer auf der Werft hatten den Auftrag, diesen Mangel fürs nächste mal absolut auszuschließen. Haben sie auch versprochen. Aber nicht gehalten. An gleicher Stelle der gleiche Mist. Mit jeder Welle dringt Wasser ein und verteilt sich gleichmässig im auf den Wellen schwankenden Schiff. Till dichtet das Leck mit einer Schlauchschelle ab.

Minuten vor dem Start zur Ralley in die Karibik am gestrigen Mittag gabs schon einen GAU. Wir setzen das Großsegel und wollen es mit dem hydraulischen Baumniederholer trimmen. Der Baum läßt sich aber nicht niederholen. Der frische Wind füllt das grosse Tuch, der schwere Baum steigt, das Segel beult sich zum formloskraftlosen Sack am Mast. Hydrauliköl spritzt an Deck. Noch vier Minuten bis zum Start. Nur noch Zeit für eine Notreparatur. Eine schnell geriggte Leine, ein Umlenkblock und eine freie Winsch werden zwekckentfremdet, der Baum halbwegs heruntergezwungen. Noch eine Minute bis zum Start. Rasche Manöver mit dem Großsegel sind jetzt nicht mehr möglich. Noch zehn Sekunden, fünf, zwei. Start. Ich weiss nicht wie aber die Luv ist wieder die erste Yacht von 47 an der Linie und sie verteidigt den Vorsprung auf den ersten Meilen im engen Kanal zwischen den beiden Inseln Antao und Sao Vicente. Der Passat presst die Luft hindurch. Weil die hohen Berge rechts und links dem Wind keinen Ausweg lassen, wird er schneller. Sehr schnell. Am Ende ein ausgewachsener Sturm mit Böen von über 9 Beaufort. Dasmit hat keiner in der ARC-Flotte gerechnet. Schon gar nicht der Skipper von Mathilde, der härteste Konkurrent der LUV auf der Etappe von Las Palmas zu den Cap Verde Inseln. Die Mathilde, eine X-Yacht wie die Luv,  setzt ihren Spinnaker, sie will unbedingt aufholen. Der Spi steht keine zwei Minuten, da fliegt er mit lautem Knall aus den Lieken und liegt im Wasser. Geschätzer Schaden: ca 8000 Euro. Geschätzter Zeitverlust: etwa zehn Minuten. Wir bedauern die Mathildes aufrichtig.

So ein Start zu einem Seerennen ist schon eine furchtbar aufregende Sache. Er wird aber gerne überschätzt. Vor uns liegen 2080 Seemeilen, wenn alles gut geht, sind wir in etwas über 270 Stunden drüben in St. Lucia. Was sind da zehn Minuten.

 

Heiko Tornow

 

Werbung

Mit Columbus über den Teich, aber auf anderem Kurs

Bericht 22

Position 15 Grad 59 Minuten N

33 Grad 25 Minuten W

Wetter : leicht bewölkt. Wind ONO 4 bis 5, Böen bis 7, Seegang 2 bis 3 Meter

Plötzlich sind sie da. Über hunderte von Meilen ist niemand von der ARC-Flotte in Sicht. Ein absolut blanker Horizont. Man hätte sich vorstellen können, die Luv liege vor allen anderen im Rennen über dem Atlantik und heimlich hatte dies der eine oder andere bei uns an Bord wohl auch gehofft. Aber da segeln sie. Die belgische Aronax, steuerbord achteraus, Abstand drei Seemeilen und die dänische Mathilde an Backbord, fünf Meilen voraus. Alle drei X-Yachten, die drei Preisträger der ersten Etappe, wieder dicht beieinander.

Nach dem turbulenten Start vor drei Tagen hatte sich die Spreu vom Weizen schnell getrennt. Vorne weg die doppelrümpfigen Katamarane, sie segeln in einer eigenen Klasse und zählen unter richtigen Traditionsseglern mit kleinen Vorurteilen eher als schwimmende Wohnzimmer mit Mast denn als richtiges Segelschiff mit Kiel. Dann folgen die großen Einrumpfboote der Klasse A, deutlich vor den kürzeren und leichteren Kreuzern. Einmal freigesegelt von den stürmischen Küste der Cap Verden steuert jedes Schiff seinen eigenen Kurs, jeder Navigator hat seine eigene Taktik, jeder Skipper seine private Strategie. Mit Einbruch der Nacht hat sich die Flotte auf dem großen Ozean weit verteilt. Jeder Steuermann hat das gleiche Ziel vor Augen, jeder schaut anderswo hin. Steckt Logik in all der Wirrnis?

Man sollte meinen, der Kurs sei für alle gleich. Das Ziel der Wettfahrt, St. Lucia, liegt genau im Westen, 270 Grad, keine Minute nördlich oder südlich. 270 Grad! Was soll da der jeweils andere Kurs? Christoph Columbus, der 1492 auf genau der gleichen Strecke wie wir gegenwärtig in Richtung Westen segelte, hatte es einfach. Seine Santa Maria besaß quadratische Segel, an einer Rah gebunden, die 90 Grad zur Kiellinie stand. Der östliche Wind blies vierkant dagegen, die Karavelle wurde nach Westen geschoben. Statt eines Segels hätte er genauso gut ein Brett an den Mast nageln können. Columbus, einmal aufgebrochen, konnte gar nicht anders, als Amerika zu entdecken. „Vor dem Wind“, heißt es, „läuft ein Bund Stroh.“ Aber es läuft verdammt langsam. Columbus hatte Zeit. 36 Tage benötigte er für seine historische Reise. Wir wollen es in zehn Tagen schaffen. Da müssen wir die physikalische Erkenntnis nutzen, dass ein vom Wind angeströmtes Segel ungleich mehr Vortriebskraft entwickelt, als ein nur platt angepustetes. Die unterschiedlichen Segelschnitte, die Vielfalt der Rumpfformen, die Höhe der Masten, das Gewicht der Schiffe und natürlich Können und Erfahrung der jeweiligen Crews führen nun mal bei 47 Schiffen zu 46 Kursen.

Columbus dagegen ahnte nichts von Strömungsphysik, das Kreuzen gegen den Wind galt damals noch als Teufelszeug und Hexerei. Columbus hatte auch keinen Wetterbericht und das mag sogar ein Erkenntnistheoretischer Vorteil gewesen sein. Wir haben einen mit viel Mühe mit Hilfe der nur mangelhaft funktionierenden Satellitenempfangsanlage aus dem Äther gefischt. Danach soll es in zwei Tagen im Süden mehr Wind aus einer besseren Richtung geben. Die Luv-Crew unterstellt wider alle schlechten Erfahrungen mit Wetterpropheten: Diesmal haben sie Recht. Wir segeln nach Südwest. Mathilde und Aronax waren zuletzt im Nordosten zu sehen.

Heiko Tornow

Artikel 4: Der Hafentag

Logbuch der Luv

La Rochelle , Hafentag

Geschichten über die Fortbewegung mit Segelbooten lassen sehr oft das Wichtigste aus: Die Häfen.

Die meiste Zeit liegen die Yachten schließlich angebunden im sicheren Hafen anstatt ungebunden auf den Wellen zu tanzen. Und ist das Schiff doch mal auf See, dann ist der Hafen immer das Ziel.(An dieser Stelle lassen wir mal die Betrachtung außer acht, wonach für den wahren Segler der See-Weg allein schon das Ziel sei) . Eben haben wir einen Hafen verlassen, von dem uns zuvor leider niemand abgeraten hat. Pornichet ist ein trister, an der Mündung der Loire gelegener Ort. Die Luv hat dort für eine Nacht Rast gemacht, weil die Crew nach 85 Seemeilen Schaukelei keine Lust mehr hatte, noch weitere zwei Stunden in den späten Abend hinein bis zum nächsten kuscheligeren Fischerhafen zu segeln. Der Supermarkt dort – wenn es denn einen gegeben hätte – wäre garantiert schon geschlossen gewesen und unsere Vorräte, nicht nur an Wein und Bier, sind auf null. Pornichet also, eine langgestreckte Bucht, die von einem bis zum anderen Ende mit massentouristisch nutzbaren immer gleich öden Betonklötzen bebaut ist. Ich bin sicher, diese Stein gewordene Einfallslosigkeit ist allein einem einzigen Architekten gelungen. Ein zweiter Baumeister hätte sicher für ein ganz klein wenig Abwechslung gesorgt.

Weil mithin über Pornichet eigentlich nichts weiter zu berichten wäre, will ich die Gelegenheit nutzen, über das zu schreiben, was uns Seglern in Häfen wirklich wichtig ist. Ich meine die Fascilitäten. Oder auch Toiletten und Duschräume genannt. Nichts ist wichtiger, als nach langer Sturmfahrt mit heißem Wasser das Salz aus den verklebten Haaren und vom ausgekühlten Körper zu spülen. Die Qualität und Verfügbarkeit der Hygiene-Gebäude bestimmt daher für Wassersportler den Rang der Häfen in der Qualitätshitliste.

Denken wir, wenn wir uns an den letzten Helgolandaufenthalt erinnern, an die rotfelsige „Lange Anna“ oder den Helgoland-Hummer? Keineswegs. Die Spitzenmeldung auf der offiziellen Website zur größten deutschen Hochseeregatta, der Nordseewoche an Pfingsten 2013, war diese Mitteilung: “ Mehr Toiletten und Duschen im Hafen Helgoland!“

 Kommt man, wie gegenwärtig die Luv auf der Langfahrt über Deutschland hinaus nach Westen, festigt sich in allen EU-Anlegestellen die gleiche Erfahrung: Die Planer und Erbauer von Hafenklos und Hafenduschen sind sämtlich keine Segler. Sonst wüssten sie nämlich, dass die Crews in aller Regel mit Jacke, Hemd und Hose, mit Handtuch und Kulturbeutel zur Körperpflegestelle laufen. Wohin aber mit alldem? Keine Ablageflächen nirgendwo, kaum Haken, um die Utensilien loszuwerden. Dann steht also Hein Seemann halbnackt vor dem Waschbecken, die Klamotten zwischen die Knie geklemmt und putzt sich die Zähne. Unter der Brause bietet sich der Trick mit den Knien eher nicht an. Waschraum im HafenHeute früh, in der Dusche von La Rochelle, wird ein weiterer Mangel offenbar. Sowohl Kleidung als auchKultur können kunstvoll auf einen Knopf geknotet werden. Die Schuhe bleiben am Boden. Ein grober Fehler. Per Knopfdruck schiesst es mit Hochdruck aus der Brause und setzt die winzige Kabine unter Wasser. Die Schuhe auch. Regelbar sind Menge, Druck und Richtung des alles befeuchtenden Strahls nicht. Dafür ist die Temperatur angenehm warm. Das ist nicht immer so. In Pornichet gibt’s zwar auch keine Haken und Ablagen, dafür ist das Wasser ausschließlich knallheiß. Die Franzosen bringen in ihrer Hafen-Douche nicht nur empfindliche deutsche Gäste sondern womöglich auch ihre Hummer um. Nicht wenige Segelboote an der Atlantikküste führen tatsächlich Hummerkörbe als Fanggerät mit an Bord.

Apropos warmes Wasser. Irgendwer sollte den Engländern mal verraten, dass die Einhebelmischbatterie bereits erfunden wurde. Mindestens in allen von uns dort angelaufenen Ports war diese nützliche Neuerung unbekannt. Links warm, rechts kalt, mischen in der hohlen Hand. Wenn irgendwer in Frankreich mit Blick auf Elbphilharmonien, Bahnhöfe und Flughäfen Hohn und Spott über unfähige deutsche Grossprojektplaner ausgießen sollte, darf man ihm entgegenhalten : „Port des Plaisance La Rochelle“. Mit 5000 Liegeplätzen der mit Abstand größte Sportboothafen Europas. Noch nicht ganz fertig. Aber die Duschen sind bereits verschimmelt. Die Lüftung wurde vergessen. Vordeckdusche

Zum Thema Toiletten noch etwas Versöhnliches. Zwischen Pornichet und La Rochelle bleiben wir zwei Tage auf der wirklich traumhaften Insel Isle D’yeu. Auch dort keine Haken und Ablageflächen aber ein Schild an der Tür: „Geschlossen ab 20 Uhr.“ Was machen wenn man nachts mal muss? Das Bordklo, im Hafen sonst tabu, kommt zu Ehren. Beim Pumpen im dustern spühlt es mit einem mal hell grünes Meeresleuchten ins Becken. Kann man feiner pinkeln?

Heiko Tornow