Artikel 5: Auf der Reede in der Bucht von Arcachon

75 Meilen immer nach Süden. Der gelbe Strand ist nur drei Steinwürfe entfernt.

Die Luv segelt bei schwachen  halbem Wind ganz dicht unter Land im flachen  Wasser von der Girondemündung nach Arcachon; das ist dort, wo Europas grösste Wanderdüne die millionenfach bestiegene Attraktion ist. Im Seehandbuch heißt es, die Küste sei bis dorthin ohne jede Struktur und langweilig.  Keine Stadt, kein Hafen, nicht mal ein Leuchtturm. Nur eine endlose, schwach bewachsene Düne, länger als 120 Kilometer.

Aber immer mal wieder große graue Betonklötze am Strand. Durchs Fernglas sind sie gut auszumachen: Bunker von Hitlers Atlantik-Wall. Sie haben allesamt die geplanten tausend Reichsjahre nicht überdauert und sind – meist in einem kolossalen Stück –  den steilen Hang zum Meer hinunter gerutscht, das Fundament unterspült von den allfälligen Herbststürmen in der Biskaya. Klotzige Mahnmale, alle halbe Stunde.

Die Luv ist allein auf See. Bis zum Horizont kein Segler. Vom frühen Morgen bis in den Abend keine Chance auf eine kleine Privatregatta mit einem Boot auf gleichem Kurs. Niemand im Sicht. Das verwundert ein wenig, schließlich sind es nur noch drei wertvolle Tage bis zum Ende der großen Sommerferien und ein besseres Segelwetter als heute ist nicht denkbar. Sogar das französische Militär scheint ein Herz für Wassersportler zu haben. Das Revier, durch das wir heute schippern, ist ein sonst viel genutztes Schiessgebiet. Der Hafenmeister in Royan hat uns versichert, bis zum Wochenende würde nicht auf uns geschossen. Die Artillerie sei entweder selbst im Urlaub oder auf dem Weg nach Syrien.

Möglicherweise stand diese Nachricht nicht in der Zeitung und die Yachteigner hier trauen sich einfach nicht aufs offene Meer. Das ist natürlich Unfug.  Die Franzosen sind eine unvergleichliche Seefahrer- und Seglernation. Bei internationalen  Regatten sahnen sie regelmäßig die schönsten Trophäen ab. Die Weltumrunder  und Einhandsegler der Grand Nation haben Heldenstatus. Nach  Eric Tabarly zum Beispiel  wurde jetzt posthum ein sündhaft teures Yachtzentrum für Super- und Rekordboote an der Westküste benannt, den Ehrentitel „Kommandeur der Ehrenlegion“ hatte ihm zu Lebzeiten noch Staatspräsident De Gaulle verliehen. Tabarlies letztes Boot, die „Pen Duik“  liegt in seinem Hafen an Land.  Er hatte es eines Nachts in der irischen See während einer seiner vielen atemberaubenden Abenteuer unfreiwillig  verlassen. Angeblich musste er mal. Die allermeisten um Leben gekommenen Segler werden übrigens, wenn sie überhaupt gefunden werden, mit offener oder ohne Hose geborgen.  Offiziell  hieß es, der Grossbaum habe Tabarly von Bord gefegt. Er war nicht angeleint.

Wir haben daraus gelernt, dass großer Ruhm nicht vor Torheit schützt und zwei Regel beachtet werden sollten: Erstens niemals auf See außenbords  pinkeln – und wennschon – zweitens dann mit Sicherheitsgurt.

Zurück zur wundersam  yachtfreien See.  Nirgendwo in Europa sind so viele Freizeitschiffe zugelassen wie in Frankreich. Die Zulassungsnummern in den französischen Segeln sind fünfstellig, in Deutschland kommen wir locker mit vier Stellen aus. (Die Luv hat die Nummer GER5148) . Hamburgs Yachthaven  in Wedel, Deutschlands größter,  bietet Platz für 2000 Boote. In  La Rochelle  allein passen fast dreimal so viele hinein und Arcachon, unser Ziel für heute, steht dem nicht viel nach.

Wir lesen, dass die dortige Warteliste  einen Liegeplatz  erst in 26 Jahren in Aussicht stellt. Ob die Skipper etwa darum  ihren Hafen nicht verlassen, weil weggegangen, Platz vergangen? Haben die überhaupt Platz für Gäste? Sicherheitshalber beschließen wir, heute Nacht in einer geschützten Bucht in der Nähe der Stadt vor Anker zu gehen.

Heiko Tornow

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