4. Seetag: Von fliegenden Fischen und anderen Vögeln

Auf See zu den Cap Verden

Wetter: Passatwind 4 bis 5. Leicht bewölkt. Noch wärmer

Wir haben unseren ersten Fisch gefangen! Nun ja, er hat sich uns sozusagen selbst hingegeben. Morgens lag das Exemplar der Gattung Fliegender Fisch zwischen den Leinen auf dem Vorschiff. 7 ( in Worten: sieben) Zentimeter ist er lang, eher wenig beeindruckend aber doch Anlass zur tiefen Zufriedenheit in der Mannschaft. Was haben wir nicht alles angestellt auf unserer Reise, um endlich mal so ein Flossentier zu erlegen. James hat ein halbes Vermögen in hochseetaugliches Fanggerät investiert. Hunderte von Meilen haben wir mal diesen, mal jenen Köderfisch hinter der Luv hergeschleppt. Nie auch nur ein Biss.

Die Hoffnung auf Thunfisch haben wir noch nicht vollständig aufgegeben. In Erwartung reichen Fanges haben wir in den Vorräten alles für ein zünftiges Sushigericht: Sojasoße, Wasabi, Stäbchen und natürlich: „Whitewine with the fish.“

Auf Madeira nahm James bei einem örtlichen Fischer sogar einen ganzen Tag lang praktischen  Nachhilfeunterricht im Hochseeangeln. Über 100 Euro kostete das, blieb leider jedoch ganz ohne Ergebnis. Der Fischer teilte James zwar mit, die Saison sei nun mal leider vorbei, die gelbflossigen Tunfische und die gigantischen Blue Marlins seien fortgezogen. Diese demotivierende Erkenntnis betonte er jedoch erst im Anschluss an den teuren Trip zu den „Big-Game Fishinggrounds“. Als Trost verkaufte der Fischer seinem deutschen Kunden noch einen gebrauchten Köder, der seinen großen scharfspitzen Haken mit den bunten Tentakeln  eines Plastik-Oktopus tarnte: „Der ist garantiert fängig.“

Gestern Abend stellt er diese Eigenschaft  unter Beweis. Wir haben  den Second-hand-Tintenfisch schon eine ganze Weile hinter der Luv im Schlepp, als die Rolle laut ratschend abläuft. Ein Biss! Till springt mit einem reaktionsschnellen Satz zur Angel, haut die Bremse rein, will den Fang reindrehen. Da ist die Sehne auch schon ausgerauscht. Der dreifach fachgerechte Seemannsfischereiknoten  gibt mit lautem Zäng  nach.  Der Fisch, den wir fast gefangen hätten, war gewiss riesengroß und hätte uns sicher einen Preis im Angel-Sonderwettbewerb der ARC-Ralley eingetragen. Till schlägt vor, statt dessen unseren Fliegenden Fisch bei der Jury einzureichen. Für alle Fälle machen wir ein Beweisfoto, bevor wir den kleinen Aussenbordskameraden  über die Kante werfen. Er roch schon.

Mittlerweile umschwirren uns hunderte der beflügelten Kiemenathmer . Mit jeder Meile, die wir nach Süden vorankommen, werden es mehr. Sie werden auch größer.  Eggert beschwert sich erschrocken. In der Nacht fliegt ihn ein Fisch “ heimtückisch und mit gefletschten Zähnen“ von hinten an die Beine und zappelt dann unten in den Speichen des Steuerrades. Wir spülen ihn über Bord.

Am Nachmittag hat die Luv für einige Stunden einen blinden Passagier an Bord. Ein spatzengrosser Vogel landet in der Takelage und ruht sich – über 250 Kilometer vom nächsten Land entfernt- von seinem Irrflug aus. Wir werden daran erinnert, dass nicht alles was fliegt, auch schwimmen kann. Der Vogel bleibt nicht lang. Er wird wohl ersaufen.

Till berichtet, sein Vater habe früher oft erzählt, wie er in seinen Matrosenjahren fliegende Fische am Äquator gefangen habe. Er fuhr damals auf einem Tanker, das beladene Schiff lag tief im Wasser. Anfliegende Fischschwärme wurden mit großen Lampen angelockt. An Deck hatte der Smutje Pfannen aufgestellt und davor ein Brett mit zahlreichen scharfen Messern, die Spitze nach oben. Flog nun so ein Fisch über die Bordwand, schlachtete er sich sozusagen selbst und landete, im Idealfall schon ausgenommen, in der Pfanne.

Ob das nicht Seemannsgarn sei, fragt Basti, er ist Mediziner und glaubt nicht gleich alles. Ich  versichere ihn, an der Geschichte sei nicht alles gelogen. Fliegende Fische kann man tatsächlich essen. Sie schmecken ähnlich wie Heringe. Michael, der sich gerne um unser leibliches Wohl sorgt, stellt eine Pfanne an Deck und geht in die Kombüse. Er wetzt die Messer.

Heiko Tornow

3. Seetag

Wetter: Passatwind 4 bis 5. Leicht bewölkt. Sehr warm

Rudi ist ausgefallen. Über 3000 Seemeilen hat er zuverlässig seinen Dienst auf der Luv verrichtet und das Schiff von Hamburg bis hier vor Afrikas Küste auf Kurs gehalten. Damit ist jetzt Schluss. Rudi hat sich was gebrochen. Mititten in der Nacht gibt mit lautem Knall  die Antriebstange der Selbsteueranlage ihren Geist auf. Bevor wir recht mitbekommen, was passiert ist, schießt die Luv in den Wind. Die festgesetzten Segel schlagen wie wild, es knallt und rattert gewaltig im Rigg.

Bastian sollte auf Rudi aufpassen. So einem Automaten darf man nicht ohne ständige Aufsicht sein Leben anvertrauen. Es könnte ja was passieren, Stangenbruch oder so was. Also hat ständig ein Crewmitglied in unmittelbarer Nähe des Ruders zu wachen. Eine weise Regel, wie sich jetzt zeigt.  Rasch hat Basti die kritische Lage im Griff, das heißt, er steuert das Schiff jetzt von Hand.

Das hatten wir abwechselnd in den ersten beiden Tagen der Wettfahrt ohnehin getan. Unter Spinnacker verbietet sich der Einsatz von Rudi als zu gefährlich. Sein Programm ist nicht in der Lage, wirklich kritische Lagen vorauszusehen und die sind beim Spisegeln, zumal bei böigen fünf oder sechs Windstärken, die Regel. Reagiert etwa der Rudergänger bei einer solchen Bö nicht sofort und entschlossen, schießt das Schiff in die Sonne, läuft es aus dem Ruder, legt sich flach aufs Wasser, fliegt das Segel aus den Lieken, fällt die halbe Besatzung außenbords. All so was.

Nicht einmal das normale Steuern im Passat, also vor dem Wind und vor den Wellen, hatten wir dem Rudi zugetraut.  Bei einem Test stellte sich aber heraus, dass er diese hohe Schule der Seesegelei ganz ordentlich beherrscht. Nach der Panne aber wird Seemannschaft auf der Luv wieder mit der Hand gemacht. Reparatur auf See unmöglich.

An dieser Stelle will ich mal den Versuch unternehmen,  von der Angst des Steuermanns vor der Patenthalse zu berichten. Die  ist die unausweichliche Folge eines Fehlers des Rudergängers und sie passiert immer dann, wenn niemand mit ihr rechnet. Rein technisch gesehen ist sie schlichtweg eine unbeabsichtigte Halse, also eine Kursänderung , bei der das Schiff vor dem Wind segelnd mit dem Heck durch den Wind gedreht wird. Dabei werden normalerweise die Segel kontrolliert und langsam von der einen auf die andere Seite genommen. Ohne Kontrolle passiert das innerhalb von Sekundenbruchteilen. Der  Grossbaum, zuvor mit dem Großsegel  auf der Leesseite, holt mit großer Gewalt und gewaltigem Krach über. Bekommt irgendwer dabei den Baum an den Kopf, war’s das. Haut der Baum in die Wanten, kann entweder er selbst brechen oder der Mast kommt herunter.

Geschieht all das bei viel Wind und gesetztem Spinnacker, sind die Chancen auf gutes Gelingen eher schlecht. Hier im Nordostpassat segeln wir gerade bei viel Wind unter Spinnacker. Arne steht am Ruder. Er sieht gar nicht so aus, als ob er Angst hätte.

Oder hat er nur keine Phantasie?er fragt: „Möchte mich nicht einer ablösen?“

Heiko Tornow.

Bericht 16 1. Seetag

 Auf See zu den cap Verden

Wetter: Passatwind 4 bis 5. Leicht bewölkt. Warm

Der Start zu einer Wettfahrt ist gewöhnlich ziemlich ereignislos, wenn Eggert am Ruder steht. Heute ist das nicht anders.  Die Luv schippert gemütlich in der Nähe des Kommittee-Schiffes eine halbe Stunde lang auf und ab, nur das Grosssegel ist gesetzt. Irgendwann kommt sein leiser Vorschlag: „Lass uns mal die Genua ausrollen.“ Das 70 Quadratmeter große Tuch wickelt sich  vom Vorstag ab und fängt den frischen Passatwind ein.

Die Luv macht einen Satz nach vorn und wir sind die ersten und in Luv an der Linie, als der Startschuss fällt. Vor uns 870 Seemeilen bis zu den Cap Verdischen Inseln und hinter uns die gesamte Konkurrenz der 47 Segelboote, die von Las Palmas in zwei Etappen über den Atlantik in die Karibik racen wollen. Besser geht nicht. Der Startschuss ist diesmal nur ein langer Ton des Signalhorns, aber sonst stimmt die Geschichte.  Das heißt, nach einer Meile überholt uns die Malisi, aber die zählen wir nicht wirklich zu unserem Wettbewerbern. Die Malisi ist ein fast 20 Meter lange Trimaran und segelt in einer anderen Liga. Das Dreirumpfboot mit drehbarem  Kohlefasermast lange vor allen anderen ankommen. Sollen sie doch. Uns doch egal.

Die Mathilde ist schon ein anderes Kaliber, wie die Luv eine X-Yacht,  3 Fuß kürzer als wir und von ihrer deutsch- dänischen Crew exzellent gesegelt. Drei Tage lang können wir sie nicht abschütteln, sie klebt uns förmlich am Heck, mal fünf, mal acht, mal nur 2,5 Meilen achteraus. Früher als die Luv setzt sie ihren  gewaltigen Spinnacker, abends lässt sie ihn noch stehen, wenn wir, sehr auf Sicherheit bedacht,  für die Nacht auf  kleinere Passatbesegelung umrüsten. Die Positionen der meisten Regattateilnehmer werden als kleine Schiffsymbole auf unserem Navigationsrechner dargestellt. AIS heißt dies Automatische Informations System, mit dem fast alle ausgerüstet sind. Es verrät Namen, Kurs und Geschwindigkeit und uns verrät es auch im Dunkeln, wer schnell und wer langsam segelt. Die Reichweite des AIS ist auf etwa 16 Seemeilen begrenzt. Gleich in der ersten Nacht verschwindet daher ein Segler nach dem anderen vom Bildschirm.

Bis auf Mathilde und Luv ist der Ozean frei von lästigen Mitbewerbern, alle anderen sind längst unter den Horizont gesegelt. Auch noch sehr gut im Rennen ist die norwegische Oda, eine sehr große Swan, die jedoch gleich zu Beginn der Wettfahrt einen sehr eigenwilligen östlichen Kurs gewählt hatte und nur einmal ein schwaches AIS-Signal abgegeben hat.

Gut möglich das Oda oder noch weitere Schiffe sich über oder unter uns durchgemogelt haben. Wir werden uns überraschen lassen.

Heiko Tornow

Bericht Nr 15 Von guten Menschen und bösen Tieren

Hafen von Las Palmas

Leichte Schauer

Nordost 3 bis 4

Der Abend vor dem Start der ARC- Wettfahrt.

Segler sind die besseren Menschen. Weltoffen sind sie, tolerant, sozial vorbildlich, kameradschaftlich und ehrlich. Diese gut begründbare und feste Überzeugung gerät ins Wanken,  wenn man – wie wir gerade – neben einer in Amerika gebauten Luxusyacht festgemacht hat, die von Österreichern gesegelt wird und die einen großen Hund an Bord haben. Der Hund, ein grosser schwarzhaariger Kläffer, kommt auch im Hafen selten an Land und wird stundenlang von der Crew als Wache allein gelassen. Der Hund, er heisst Benji, scheißt dann – was soll er auch machen – aufs Vorschiff. Der leichte Nordostpassat bläst eine streng riechende Duftwolke zu uns rüber. Und wir mögen das nicht.

Es sind dicke Werke darüber geschrieben worden, ob Tiere auf Segelbooten Sinn machen. Gegen Papageien, von jeher Begleiter von Piraten und anderem seefahrenden Volk, ist eingewendet worden, sie würden mit Vorliebe die unanständigen Sprüche der Seeleute auswendig lernen und sie dann lauthals verbreiten. Das kann schon mal peinlich werden, wenn der Seemann seine sprichwörtliche Braut mit an Bord nimmt und sie liebevoll davon überzeugen will, dass seinesgleichen zu den besseren Menschen gehört. Ganz ehrlich! Großes Seemannsehrenwort! Und genau jetzt krächzt der Vogel was Obszönes.

Tierschützer weisen übrigens darauf hin, das Papageien, zumal die bei Piraten beliebten bunten Aras, niemals allein gehalten werden dürfen. Das ist – auch aus Platzgründen – ein weiterer Ausschlussgrund.

Katzen gelten dagegen in der Seefahrt als Glücksbringer. Wir haben auch eine an Bord. Sie hängt über dem Kartentisch der Luv und hat ein Vorleben als Schlüsselanhänger. Tatsächlich ist die Luv auch noch nie gesunken, seit diese Katze bei uns ist. Das mit dem Katzenglück mag damit zusammemhängen, dass diese schnurrigen Jäger in den alten Tagen der christlichen Seefahrt die Windjammer frei von Ratten hielten. Und wo keine Ratten, da auch keine sinkenden Schiffe.

Aus jenen Tagen vor der  Erfindung des Lebensmittelverfalldatums sind uns die Geschichten von den damals häufigsten tierischen Mitseglern überliefert. Die kleinen Maden versteckten sich im auch ohne sie schwer verdaulichen Schiffszwieback.

Sie mussten von harten Matrosenfäusten mühsam aus dem Brot auf den Teller herausgeklopft werden. Es gab im wesentlichen zwei Arten, die eine mit schwarzem Kopf und die andere soll sogar geschmeckt haben.

Gerade hat sich übrigens der Hund von nebenan von Bord auf den Steg geschlichen und pinkelt dort hemmungslos auf die Bohlen. Das österreichische Herrchen steht auf, geht hin und wir denken erleichtert: Gleich nimmt er einen Schlauch und spült die Miege fort. Weit gefehlt. Er ignoriert die doch recht ansehnliche Pfütze und schaut sich fremde Segelboote an. Sein eigenes fährt übrigens unter der Flagge des kleinen Inselstaates St. Vincent, Hauptstadt Kingston. Ob er da gemeldet sei weil das eine Steueroase ist, frage ich ihn. Doch, ja, da gebe es schon einen Zusammenhang, sagt der Hundefreund.

Auf eben dem Steg sitzt ein Ehepaar, das auch Vorbehalte gegen Tiere auf ihrem Schiff hat. Die beiden haben Berge von frischen  Apfelsinen, Mangos, Bananen und anderes Obst vor sich ausgebreitet und waschen den Proviant sorgfältig Stück für Stück mit einer Wurzelbürste. Der neugierige Frager wird beschieden: „Wir wollen keine Kakerlaken im Schiff haben.“ Salzwasser sei besonders geeignet, auch die Eier der daumengrossen braunen Krabbeltiere zu killen.

Salzwasser? Aus diesem Hafenbecken? Wir sind für das Paar aus England dankbar, dass der Hundehalter den Steg nicht doch noch gespült hat.

Heiko Tornow

Bericht Nr 14 Schnitzeljagd zur See

ARC-Teilnehmer sammeln sich im Hafen von Las Palmas

ARC-Teilnehmer sammeln sich im Hafen von Las Palmas

Hafen von Las Palmas

Wetter: Nordost 2

Leicht bewölkt, gelegentlich Schauer, 25 Grad

Im Hafen gibt es keinen freien Platz mehr. Ein einlaufender Segler mit australischer Flagge am Heck tuckert seit einer halben Stunden langsam mit seinem Boot alle denkbaren Liegeplätze im grossen Becken ab. Nirgends eine Lücke. Der Mann hat Pech. Jetzt, zwei Tage vor dem Start der großen Wettfahrt  in die Karibik  ausgerechnet auf die kanarischen Inseln zu schippern und nicht zur Flotte der ARC zu gehören bringt deutliche Nachteile mit sich!  Alles ist seit Monaten  für die 269 ARC- Schiffe aus aller Welt reserviert. Der Hafenkapitän weist unangemeldeten Außenseitern einen ungemütlichen Ankerplatz ohne Wasser und Strom vor dem eigentlichen Hafen zu.

Apropos Wettfahrt. Die ganze Stadt ist vollgehängt mit bunten Werbebannern,  die auf das große Sportevent hinweisen: „Die weltweit größte transoceanische Regatta“. Da ist er wieder, der verpönte Begriff :“Regatta „.   ARC heißt doch übersetzt „Atlantische Rallye für Fahrtenschiffe (Cruiser)“. Da wollen betagte  Dickschiffbesatzungen, die sich bislang höchstens nach Bornholm oder Helgoland getraut haben, eigentlich nur mal einen betreuten Ausflug über die gemütliche Barfußroute ins tropische Paradies der Karibik machen. So eine Art stressfreie Schnitzeljagd zur See, bei der es nicht so sehr darauf ankommt wer als erster drüben ist sondern wer am meisten Spaß dabei hat und unterwegs die meisten Fische fängt.

Und jetzt das: Regatta. Das heißt doch  schnell segeln, keine Badepausen im Passat, anhaltende Konzentration und dauernde Anstrengung, taktische Überlegungen, wochenlanger Schlafmangel, nachhaltiger Sonnenbrand. Mindestens die Werbetruppe des ARC meint das offenbar ernst mit der Wettfahrt über die vor uns liegenden 2400 Ozeanmeilen. Schauen wir uns bei unseren Nachbarn am Steg um, ist bei nicht wenigen tatsächlich das Regattafieber ausgebrochen. Überall basteln die Besatzungen an ihren Riggs, reparieren die Segel, optimieren die Ausrüstung.

Und wir?  Am Mast haben wir statt des alten Fahrtensegels unser Regattagross aus Hightech-Tuch angeschlagen. Anker und 70 Meter schwere Eisenkette liegen jetzt mittschiffs unter den Bodenbrettern. Mit hohen Gewichten tief verstaut segelt es sich schneller. Der gemütliche Cockpittisch ist verschwunden. Bei schnellen Manövern wäre das Möbel doch nur im Weg.

Im ARC-Büro an der langen Pier hängt die Liste der teilnehmenden Yachten mit ihren jeweiligen Rennwerten aus. Die Skipper notieren sich eifrig die Zahlen: eine hohe Ziffer bedeutet auch hohes Geschwindigkeitspotential. Der Gerechtigkeit wegen erhalten langsame alte Schluffen ordentliche Zeitrabatte gegenüber den leichten flotten Rennziegen.

Unsere Luv mit dem Rennwert 1.059 ist rechnerisch das siebtschnellste Schiff in der Flotte der 44,  die am Sonntagmittag zur ersten 800-Meilen-Etappe Richtung Cap Verdische  Inseln die Segel setzt. (Die übrigen 225 lassen die Cap Verden aus und segeln nonstop nach Saint Lucia) .  Ob wir die Konkurrenz tatsächlich hinter uns lassen ist ein wenig davon abhängig, wie sportlich wir die Sache angehen. Cruisen oder racen? Spinnaker auch nachts und auch bei Starkwind oder barfuß mit leichten Passatsegeln und im Schatten des Sonnensegels? So oder so: Wir freuen uns auf die Reise. Und wenn wir nicht gewinnen sollten, haben wir jede Menge Ausreden. Am Heck haben wir unsere Hochseeangel schon mal weithin sichtbar angebracht.

Heiko Tornow

Bericht Nr. 13 Hafenkino

Hafenkino in Las Palmas

Hafenkino in Las Palmas

Hafen von Las Palmas, Gran Canaria

Wetter: Passat, 3 bis 5, Schauer

Hafenkino

In der Karibik soll es noch schlimmer sein, sagt einer der es wissen muss. Der Segler war schon zweimal dabei, bei der ARC-Rallye von Gran Canaria nach Saint Lucia. Er meint die Hafenbürokratie, eine weltweit aktive Plage, die von Seglern oft mehr gefürchtet wird, als pottendicker Nebel oder, sagen wir, eine verstopfte Bordtoilette.  Im hochmodernen  Marinaoffice von Las Palmas steht  LUV-Segler  Eggert seit  einer geschlagenen Stunde  Schlange und wartet. In seinem Jutebeutel der Papierstapel für die Anmeldung: Pässe der Crew, Schiffsversicherungsnachweis, deutsches Flaggenzertifikat, Rechnung der bereits in Teneriffa für 30 Tage im Voraus entrichteten nagelneuen Navigationssteuer.

Die Schlange ist vergleichsweise übersichtlich. Frühes Erscheinen sichert bessere Plätze hatten wir uns gedacht. Und tatsächlich:  Vier Offizielle und eine Sekretärin scheinen an diesem frühen Morgen bereit für den Ansturm der vielen Skipper, die am vorangegangenen Wochenende im Starthafen des ARC eingelaufen sind und nun zu den angegebenen Dienststunden ihrer Meldepflicht genügen wollen. Aktuell sind es nur zwei . Eggert und der Mann mit der Karibikerfahrung. Die anderen pennen wohl noch. Oder sie haben Erfahrung. Denn die Dinge lassen sich leider nicht so flott an, wie erhofft.

Die Offiziellen, mutmaßlich Staatsdiener, haben Zeit. Fürs Kaffeekochen, Kaffeetrinken, Pläuschchen, keine Papiere auf dem leeren Schreibtisch ordnen, fürs Ignorieren der Segler, für deren Abfertigung sie eigentlich da sind,  Zeit, draussen vor der Tür eine zu rauchen. Eine Stunde. Noch mal 30 Minuten. Mittlerweile hat sich das Office gefüllt. Und tatsächlich, eine Stunde vor Mittag  kommt ein klein wenig Bewegung in die Truppe.  Einer der Autoritäten  prüft, kopiert, schreibt eine Liegeplatzrechnung. Die Navigationssteuer will er gleich noch einmal kassieren. Eggert hat es gemerkt und leistet erfolgreich Widerstand. Als er wieder an Bord kommt, hat er einen hochroten Kopf und braucht eine Weile, um seine sprichwörtliche Gelassenheit wieder zu finden.

Die übrige Crew hatte derweil einen vergnüglichen Vormittag. Beim verlängerten Frühstück  sitzen wir im Cockpit und begutachten die Anlegemanöver der ankommenden Boote. Der Wind ist frisch, die Liegeplätze eng, der Raum fürs Rangieren begrenzt. Begrenzt oft auch das Vermögen der diversen Skipper und ihrer Mitsegler ihr Boot ohne Schaden oder zumindest ohne lautstarke Erregung an die Pier zu bringen.

Was beim Anlegen so alles schief gehen kann! Vom fachkundigen Zuschauer immer wieder gern beobachtet und engagiert kommentiert sind die vergeblichen Versuche rückwärts einzuparken. Sehr gern genommen ist auch der allfällige Fehlwurf der Leine vom Boot zu der helfenden Hand auf dem Steg. Entweder ist der Festmacher zu kurz und erreicht nicht das Ziel, oder das Ende knallt dem Helfer mit Wucht an den Kopf und dessen Griff geht ins Leere. Oder die Leine ist mit ihrem anderen Ende nicht an Bord belegt und versinkt haltlos in die Hafenbrühe.  Dann ist das Hallo besonders groß.

Jedesmal nach solchen Missgeschicken passiert das Vorhersehbare. Das Boot, weil ohne eigene Geschwindigkeit steuerlos, vertreibt vor dem Wind, kollidiert mit Pfählen oder anderen Yachten, verheddert sich in Mooringleinen und muss dann einen neuen Anlauf organisieren. Der Skipper einer Hamburger Charteryacht hat es besonders schwer mit seiner unerfahrenen Besatzung. Einer seiner Übungssegler kann den richtigen Knoten nicht und ein Fender fällt ins Wasser. Es dauert, bis das zylindrische Gummikissen wieder an Deck ist. Dreimal nimmt das Schiff Anlauf zum Anlegen. Nichts gelingt. Ein Hafenhelfer mit Gummiboot erbarmt sich schliesslich, übernimmt von der treibenden Yacht eine lange Leine und befestigt sie am Steg. Hand über Hand holt die Besatzung das Boot daran zum Liegeplatz. Höchststrafe für jeden selbstbewussten Skipper.

Der hier hat gleichwohl unsere Achtung. Während des gesamten Scheiterns seiner Anlegebemühungen bleibt er ruhig und gelassen. Kein Brüllen oder Fluchen, kein Geschrei und keine Meckerei. Ungewöhnlich.

„Na, schönes Hafenkino gehabt?“, fragt er uns anschließend.

Doch ja, schon. Es wird wohl noch schöner. 250 Boote nehmen Teil am ARC. Und noch sind längst nicht alle da. Und der Wind wird noch ein wenig frischer.

Heiko Tornow

 

Bericht Nr. 12

Logbuch der Luv
Hafen von Caletha, Madeira
Wetter: leichter Regen, schwacher Wind

Atemberaubende Landschaft im Hinterland von Madeira

Atemberaubende Landschaft im Hinterland von Madeira

Energieoptimierung ist heute das Stichwort. Ein hehres Ziel, aufs innigste zu wünschen. Wer segelt, ist schon mal gut dran mit seiner Energieeffizienz. Welches Transportmittel produziert weniger klimaschädliches CO2 als die Windmaschinen mit Mast und Tuch, Rumpf  und Kiel? Umweltpolitisch gesehen ist daher unser Sport zukunftsfähig, auch wenn Herr Vettel angeblich mehr Anhänger hat.
Bei anhaltender Flaute haben wir allerdings ein  Problem.  Dann wird aus unserem flotten, leisen und politisch korrektem Transportgerät unversehens eine laute, stinkende Dieselstaubpartikel-Dreckschleuder. Das ist natürlich bedauerlich. Aber was soll man machen, wenn Madeira noch weit und der Zeitplan eng ist und der Wind sich dauerhaft nach sonstwo verpfiffen hat?  
Die Luv  motort also. Auf der halben Strecke vom  portugiesischen Hafen Lagos bis nach Caletha, einem kleinen Hafen an der  Südküste der Atlantikinsel verlässt uns der Wind. Der Jockel  läuft im niedrigen Drehzahlbereich, 1800 U/ min, mehr nicht.  Nach dem Tanken in Caletha ist unser ökologisches Gewissen wieder ein wenig beruhigt. Der Treibstoffverbrauch kann sich wirklich sehen lassen: weniger als drei Liter in der Stunde verbrennt die 65 – PS- Maschine der  13, 5 Tonnen schweren Luv bei sparsamster Marschfahrt.  Das schafft Vettel locker pro Minute, und sein Dienstfahrzeug ist weit leichter. Und wir nutzen die Dieselabwärme sogar noch zum Heizen, das heißt, wir würden sie nutzen wenn es denn kalt wäre, aber immerhin.
Als wir uns nachts Madeira nähern, haben wir festgestellt, dass die steilen Hänge der Insel von den Ufern bis  zu den Gipfeln sehr autogerecht hergerichtet sind.  Selbst um vier Uhr in der Früh ist das offensichtlich dichte Straßennetz  hellgelborange erleuchtet und die zehntausend Straßenlaternen verleihen dem einsamen Eiland einen nachgerade großstädtischen Glanz. Durchs Fernglas können wir auch ein Auto pro Stunde ausmachen.  Das wird sich in der hellen Gegend gewiss nicht verfahren können.
Die Luv-Crew will auch Autofahren. Wir mieten uns einen preiswerten Kleinwagen, erbetteln uns bei der Touristinfo eine zwei Handbreit große Karte und erkunden Madeira. Das hat sich wahrhaftig gelohnt. Wir erleben eine einzigartig bizarre Vulkanlandschaft mit steilsten Bergen, engsten Schluchten, reißendsten Flüssen, höchsten Hochmooren ( 1600 Meter) fremdartigster üppigster subtropischer Vegetation , die atemberaubenden Superlative wollen gar kein Ende nehmen.  Da haben wir doch ein wirklich vorzeigbares Stück Europa vorzuweisen.

Autodusche der besonderen Art in Madeira

Autodusche der besonderen Art in Madeira

Das müssen sich auch die in Brüssel gedacht haben, als sie in den 90 er Jahren grünes Licht und einige Milliarden  gaben, um das verkehrlich unterentwickelte Madeira ins 21ste Jahrhundert zu katapultieren. Soviel Schönheit muss einfach infrastrukturell erschlossen werden. Seither ist das Basaltmsssiv der Insel kreuz und quer mit einem über 70 Kilometer langem Tunnelsystem durchlöchert wie ein Schweizer Käse. Im Eifer wurde auch schon mal übertrieben. Nicht wenige der 140 Tunnel  beginnen im Nichts und enden im Nirgendwo.   Es fehlen mal der Strassenanschluss oder die nachfolgende Brücke über ein Tal. Niemals aber fehlen die Straßenlaternen.
Auch nicht bei dem ganz besonders bescheuertem Tunnelprojekt am westlichsten Cap der Insel, dem Ponta do Pargo . Früher konnte man zu diesem gigantischen Aussichtspunkt -312  Meter  Falllinie bis zu den weiß umtosten Klippen  da unten – zu Fuß wandern,  von einer einfachen aber preiswert und guten Gaststätte ist es nur ein kleiner Kilometer über einen breiten Trampelfahrt.
Jetzt führt ein langer betonbesäumter mehrspuriger Strassenkanal zu einem 273 Meter langem Tunnel, in

Völlig blödsinniger Tunnel mit sofortiger Kehrtwende im Flachland vonMadeira

Völlig blödsinniger Tunnel mit sofortiger Kehrtwende im Flachland vonMadeira

dem sich zwei dreistöckige Busse locker begegnen könnten, zu dem sehr schmalen Gelände vor dem malerischen Leuchtturm auf der Klippe. Parken istunmöglich. Der knappe Raum zwischen Tunnel und Steilküste ist vollständig, ich meine buchstäblich vollständig, ausgefüllt mit dem Wendehammer der Straße, die sofort wieder zurück in den hell erleuchtetenTunnel führt. Parken ist aber auch unnötig. Das gigantische Projekt ist ohne Verkehr. Wir sind einsam auf dem Plateau.

Apropos Plateau.  Auf der ganzen Insel gibt es nirgends ein so flaches Gelände wie vor diesem Leuchtturm. Um dort eine Straße zu bauen, wenn es denn einen Bedarf gegeben hätte, wäre ein simpler Asphaltbelag auf dem ohnehin festen Untergrund ausreichend gewesen. So aber wurde in die platte Landschaft ein kilometerlanger tiefer Einschnitt gebaggert, sonst wäre man nicht tief genug gekommen, um das zutiefst  sinnlos Loch überhaupt in die Erde bohren zu können.
Immerhin, irgendwer hat daran verdient. Im Hafen von Caletha erzählt die Wirtin eines kleinen Restaurants, die größte Luxusmotorjacht im Hafen gehöre einem Unternehmer, „der hier alles baut“, der „Pate von Madeira“.
Wir wollen morgen diese schöne Insel verlassen. Der Wetterbericht verheißt uns energiehaltige Luft. Wir setzen die Segel und schippern nach Las Palmas.
Heiko Tornow
 

Von Leinen und Bindebändern

Bericht Nr 11
Logbuch der Luv
17. 10. 2013
Atlantikinseln Madeira
Wetter: windstill
 
Wer über das Segeln mitreden will, muss sich mit Leinen auskennen. Wer sich nicht auskennt, gibt sich gleich als Laie zu erkennen, weil er „Bänder“ sagt, oder „Fäden“, oder – noch schlimmer: “ Stricke“.  Das geht natürlich gar nicht. Obwohl  – der Seemann sagt schon mal „anbinden“, nimmt dafür aber ein Bändsel, niemals ein Band, aber auch schon mal einen Festmacher. Das ist ein vielleicht zehn Meter langes Ende. Das Ende des Endes heißt Tampen, ein Ende hat also zwei Tampen. Ich kenne viele Segler, denen sind diese feinsinnigen Wortklaubereien schnurz. Sie bitten um den Tampen, wenn sie ein Ende wollen und richtig erhalten sie dann ein Tau. Alles klar?

 

Fäden gibt es  auch, aber wirklich nur sehr eingeschränkt. An Bord sind das  kleine bunte kurze Dinger, die ins Segel geklebt werden und durch ihr wackeliges Verhalten im Wind anzeigen, ob das Antriebstuch richtig getrimmt ist mit all den Leinen, von denen noch die Rede sein wird. Nur um der Vollständigkeit willen:  Ein Faden hat oder hatte vor allem eine Bedeutung als Längenmaß in der christlichen Seefahrt . Alte Seekarten geben die Wassertiefen in Faden an. Ein Faden = 185 cm. Altmodische Seeleute sprechen heute noch von einer “ Kabellänge“ , wenn sie eigentlich 185 Meter sagen wollen. Kaufte man sich auf Vorrat eine Trosse, also die vollständige Rolle einer Leine, dann war sie eben genauso lang. Trossen wandern in die Vorratskammer des Schiffes , das Kabelgatt. Kabel aber gibt es aber selbstverständlich überhaupt nicht. Das heißt: also Kabel, elektrische Kabel schon, aber das führt hier zu weit.

 

Die Länge allen Tauwerks (das ist der Oberbegriff für all die igedrehten, geschlagenen und geflochtenen Längen ) an Bord unserer Luv dürfte einige Kilometer betragen. Nachgemessen hat das noch niemand, aber ich halte jede Wette.
Die Ankerleine ist die Längste, gut 70 Meter. Und die Dickste mit  5cm Umfang. Wir ankern natürlich nicht mit der Ankerleine sondern mit der Ankerkette. Mit der Ankerleine wird vor allem geschleppt. Zum Beispiel  andere Segelboote, die mit gebrochenem Mast und ohne Motor zwischen hier ( das ist die Insel Madeira ) und unserem nächsten Ziel, das ist Las Palmas,  in Seenot geraten sind und unserer Schlepperhilfe bedürfen.  Es ist äußerst unwahrscheinlich, dass wir für so etwas  in Anspruch genommen werden, so etwas passiert nie, und wenn doch, dann immer anderen. Wenn aber doch, hätten wir eine Ankerleine zum Schleppen dabei und im Notfall auch zum Ankern, wenn die Kette mal brechen sollte. Wo wir gerade bei sprachlichen Petitessen sind: Leinen, dicke wie dünne, reißen nicht, sie brechen.
Ich sehe schon, die beabsichtigte kurze Abhandlung über Taue und Leinen verliert sich im Detail. Wollte ich jetzt noch von den Schoten und Fallen berichten, die weder was mit Erbsen noch mit Mäusen zu tun haben, oder von den Streckern,  Niederholern, Achterholern,  den Backstagen und Cunninghams oder den Taljen und Toppnanten, die Wirrnis selbst beim geneigtesten Leser wäre wohl vollständig. Nur so viel: all das ist notwendig für sicheres und schnelles Segeln und all das trägt ein gerüttelt Maß an Schuld daran, dass unser schöner Sport als abgehobenes Hobby  für Intellektuelle diffamiert wird. Fußball ist einfacher.

 

Eine kleine Bemerkung, eine Warnung, zum Schluss.  Niemals sollte der Segler, Laie oder Experte, versuchen eine Leine festzuhalten, die „auf Kraft steht“.  Michael hatte unlängst probiert, das ausrauschende Spifall , daran  140 Quadratmetern Tuch voller Wind, mit bloßen Händen zu stoppen.  Das ging gründlich schief. Ihm wurde recht heiß  und die Aktion  trug ihm, dem notorischen Frauenversteher,  auch noch Spott ein:
„Kein Mädchen, nicht mal eine Braut, mag gerne Hände ohne Haut. “ ( Ringelnatz).
Vielleicht doch noch dies, weil ich anfangs von der völligen Tabuisierung des Begriffes „Strick“ in der Seefahrt sprach. Als Verb kommt er gleichwohl vor. Wenn nämlich Hein Seemannn nicht nur sprachlich sondern tatsächlich mit all seinen Bindfäden in‘ Tüddel gekommen ist und sich etwa im Masttopp Fallen und Toppnanten heillos verknotet und verwirrt haben, dann hat da wer „gestrickt“. Dann hilft manchmal nur noch das Messer um des Knäuels Herr zu werden. Und dann werfen wir den Motor an. Es ist eh kein Wind und gleich laufen wir in Madeira ein und machen fest. Mit ner Leine, oder nem Tau oder nem Ende.
 
Heiko Tornow

Bericht 10

14.10.2013 auf See

Wetter: Sonnig Wind Nordwest 1 bis 2

Nachtfahrt

„Was macht Ihr eigentlich Nachts?“ Diese naheliegende Frage wird von Fachunkundigen eigentlich immer gestellt, wenn das Gespräch auf die Seesegelei kommt. Handelt es sich bei dem Interessierten um eine völlige Landratte, sagen wir: ein Fußballanhänger  aus München, dann hat man schon mal Erfolg mit der Antwort:“Na,da sind wir doch im Hafen.“

Bei Leuten aus Nordeutschland oder bei solchen, die eine vage Ahnung davon haben, dass die Häfen auf der Strecke von Europa nach Mittelamerika vergleichsweise sehr dünn gesäht sind, kommt man damit nicht durch. „Wir ankern“, wird aber gern geglaubt. Aber nur kurzfristig. Wenn Hein Seemann dann nämlich berichtet, dass unsereins kurz nach Sonnenuntergang die schwere Kette an Deck schleppt um den Anker daran auf den 2400 Meter tiefen Grund zu fieren, kommen doch Zweifel auf – bei dem einen oder anderen.

Ha,Ha, Seemansgarn! Also, was macht Ihr wirklich Nachts?

„Na, wir segeln natürlich, wie tagsüber auch. Was denn sonst?“ Diese Antwort ist nun aber mindestens so falsch,wie die Story mit dem Hafen und dem Anker . Denn Nachts ist auf See wirklich alles anders.  Das beginnt schon damit, dass man das Meer nicht sieht. Gut,man sieht auch sonst fast nichts,   aber die Wasseroberfläche nicht im Blick zu haben, ist schon eine gewaltige Einschränkung. Verrät sie dem Segler doch bei Licht besehen fast alle Informationen, die er für sein rasches und sicheres Fortkommen benötigt: Bei Flaute eine Fläche wie flüssiges Blei, bei aufkommendem Wind feine Federn, die Richtung geben und Hoffnung machen, bei schwacher,mäßiger und frischer  Brise kleine Wellen, die sich parallel staffeln und lebhafter werden, bis sie erste glasige Kämme bilden und weiß werden, bevor sie zu brechen beginnen. Jetzt wäre es Zeit, die Segel zu reffen.  Starker, steifer und stürmischer Wind, das sind die Beaufortstärken sechs bis acht, modellieren die See von Welle zu Woge zum hochgetürmten Brecher bis schließlich das Wasser weiss ist und die Rettungswesten mit Sicherheitsgurt über das schwere Ölzeug gezerrt werden.

Nachts nichts von  alledem. Wenn man Glück hat, gibt der Mond eine schwache Ahnung von Bewegung auf dem Meer. Rettungswesten sind an Bord der Luv  mit Einbruch der Dunkelheit sowieso Pflicht. Alle Informationen über Stärke und Richtung des Windes muss man von den beleuchteten Instrumenten ablesen. Wie profan.

Nachts ist es deutlich kälter, regelmäßig nasser, die Feuchtigkeit kriecht in die und unter die Kleidung, auch wenn es nicht regnet. Nachts vergeht die Zeit langsamer, besonders langsam in der letzten halben Stunde der Wache. Da weigern sich die Minuten zu verstreichen, sie bleiben nachgerade kleben und haben die widerliche Gewohnheit, die gewaltige Müdigkeit noch zu verstärken. Der Friede an Bord und die Freundschaft unter den Besatzungsmitgliedern wären gefährdet, würde sich die Ablösung um vier Uhr in der Früh auch nur um Augenblicke verspäten.

Nächte auf See bieten aber zugleich die schönsten Stunden, die Seegelei zu bieten hat. Durch keinen Lichtsmog der Lichtdome einer elektrifizierten Zivilisation gestört sind bei wolkenfreiem Himmel die Millarden Sterne der Milchstrasse einzeln auszumachen. Legt man sich im Cockpit auf den Rücken, fallen einem ab und an kleine Lichtpunkte auf, die mit irrer Geschwindigkeit durchs Firmament jagen. Das sind Satelliten, die auf Ihren Bahnen um die Erde von  der für uns un sichtbaren Sonne angestrahlt werden. Vor ein paar Tagen erst regnete es förmlich Sternschnuppen in allen Größen und aus allen Richtungen. Wir hatten gar nicht genug Wünsche.

Das Steuern wird des Nachts von tiefstehenden Sternen ungemein erleichtert. Wenn der Rudergänger tagsüber bei leerem Horizont nichts vor Augen hat ausser dem wackeligen und unsteten Kompass um auf Kurs zu bleiben, geben ihm die Sterne einen sicheren Anhaltspunkt. Er sucht einen passenden aus und fährt geradewegs drauf zu. Es empfielt sich allerdings darauf zu achten, dass sich der Sternenhimmel dreht und mit ihm die Peilung zum angesteuerten Gestirn. Also muß man ab und zu einen neuen Stern wählen, sonst fährt man in die Irre.

Und heute?  Vor Mitternacht Stunden wie Samt. Der Wind erlaubt einen Kurs wie gemalt, eine Geschwindigkeit wie erhofft. Die lange Dünung ist  wie eine sanfte Wiege, die Temperatur wie ein warmer Schal. Als der halbvolle Mond untergeht ist es so duster, dass die Glut von  James` Zigarillo blendet.

Zwei Delphine machen sich bemerkbar. Sie tauchen neben der Luv auf und atmen laut prustend aus.  In der pechschwarzen See ist ihr Weg durchs Wasser leicht auszumachen.  Millionen Planktonteilchen lassen sich von den Tümmlerflossen anregen und blitzen erschrocken auf: Meeresleuchten.

Gegen Ende der Hundewache von vier bis acht Uhr, ein Sonnenaufgang wie der erste Tag.

Heiko Tornow