Bericht 10

14.10.2013 auf See

Wetter: Sonnig Wind Nordwest 1 bis 2

Nachtfahrt

„Was macht Ihr eigentlich Nachts?“ Diese naheliegende Frage wird von Fachunkundigen eigentlich immer gestellt, wenn das Gespräch auf die Seesegelei kommt. Handelt es sich bei dem Interessierten um eine völlige Landratte, sagen wir: ein Fußballanhänger  aus München, dann hat man schon mal Erfolg mit der Antwort:“Na,da sind wir doch im Hafen.“

Bei Leuten aus Nordeutschland oder bei solchen, die eine vage Ahnung davon haben, dass die Häfen auf der Strecke von Europa nach Mittelamerika vergleichsweise sehr dünn gesäht sind, kommt man damit nicht durch. „Wir ankern“, wird aber gern geglaubt. Aber nur kurzfristig. Wenn Hein Seemann dann nämlich berichtet, dass unsereins kurz nach Sonnenuntergang die schwere Kette an Deck schleppt um den Anker daran auf den 2400 Meter tiefen Grund zu fieren, kommen doch Zweifel auf – bei dem einen oder anderen.

Ha,Ha, Seemansgarn! Also, was macht Ihr wirklich Nachts?

„Na, wir segeln natürlich, wie tagsüber auch. Was denn sonst?“ Diese Antwort ist nun aber mindestens so falsch,wie die Story mit dem Hafen und dem Anker . Denn Nachts ist auf See wirklich alles anders.  Das beginnt schon damit, dass man das Meer nicht sieht. Gut,man sieht auch sonst fast nichts,   aber die Wasseroberfläche nicht im Blick zu haben, ist schon eine gewaltige Einschränkung. Verrät sie dem Segler doch bei Licht besehen fast alle Informationen, die er für sein rasches und sicheres Fortkommen benötigt: Bei Flaute eine Fläche wie flüssiges Blei, bei aufkommendem Wind feine Federn, die Richtung geben und Hoffnung machen, bei schwacher,mäßiger und frischer  Brise kleine Wellen, die sich parallel staffeln und lebhafter werden, bis sie erste glasige Kämme bilden und weiß werden, bevor sie zu brechen beginnen. Jetzt wäre es Zeit, die Segel zu reffen.  Starker, steifer und stürmischer Wind, das sind die Beaufortstärken sechs bis acht, modellieren die See von Welle zu Woge zum hochgetürmten Brecher bis schließlich das Wasser weiss ist und die Rettungswesten mit Sicherheitsgurt über das schwere Ölzeug gezerrt werden.

Nachts nichts von  alledem. Wenn man Glück hat, gibt der Mond eine schwache Ahnung von Bewegung auf dem Meer. Rettungswesten sind an Bord der Luv  mit Einbruch der Dunkelheit sowieso Pflicht. Alle Informationen über Stärke und Richtung des Windes muss man von den beleuchteten Instrumenten ablesen. Wie profan.

Nachts ist es deutlich kälter, regelmäßig nasser, die Feuchtigkeit kriecht in die und unter die Kleidung, auch wenn es nicht regnet. Nachts vergeht die Zeit langsamer, besonders langsam in der letzten halben Stunde der Wache. Da weigern sich die Minuten zu verstreichen, sie bleiben nachgerade kleben und haben die widerliche Gewohnheit, die gewaltige Müdigkeit noch zu verstärken. Der Friede an Bord und die Freundschaft unter den Besatzungsmitgliedern wären gefährdet, würde sich die Ablösung um vier Uhr in der Früh auch nur um Augenblicke verspäten.

Nächte auf See bieten aber zugleich die schönsten Stunden, die Seegelei zu bieten hat. Durch keinen Lichtsmog der Lichtdome einer elektrifizierten Zivilisation gestört sind bei wolkenfreiem Himmel die Millarden Sterne der Milchstrasse einzeln auszumachen. Legt man sich im Cockpit auf den Rücken, fallen einem ab und an kleine Lichtpunkte auf, die mit irrer Geschwindigkeit durchs Firmament jagen. Das sind Satelliten, die auf Ihren Bahnen um die Erde von  der für uns un sichtbaren Sonne angestrahlt werden. Vor ein paar Tagen erst regnete es förmlich Sternschnuppen in allen Größen und aus allen Richtungen. Wir hatten gar nicht genug Wünsche.

Das Steuern wird des Nachts von tiefstehenden Sternen ungemein erleichtert. Wenn der Rudergänger tagsüber bei leerem Horizont nichts vor Augen hat ausser dem wackeligen und unsteten Kompass um auf Kurs zu bleiben, geben ihm die Sterne einen sicheren Anhaltspunkt. Er sucht einen passenden aus und fährt geradewegs drauf zu. Es empfielt sich allerdings darauf zu achten, dass sich der Sternenhimmel dreht und mit ihm die Peilung zum angesteuerten Gestirn. Also muß man ab und zu einen neuen Stern wählen, sonst fährt man in die Irre.

Und heute?  Vor Mitternacht Stunden wie Samt. Der Wind erlaubt einen Kurs wie gemalt, eine Geschwindigkeit wie erhofft. Die lange Dünung ist  wie eine sanfte Wiege, die Temperatur wie ein warmer Schal. Als der halbvolle Mond untergeht ist es so duster, dass die Glut von  James` Zigarillo blendet.

Zwei Delphine machen sich bemerkbar. Sie tauchen neben der Luv auf und atmen laut prustend aus.  In der pechschwarzen See ist ihr Weg durchs Wasser leicht auszumachen.  Millionen Planktonteilchen lassen sich von den Tümmlerflossen anregen und blitzen erschrocken auf: Meeresleuchten.

Gegen Ende der Hundewache von vier bis acht Uhr, ein Sonnenaufgang wie der erste Tag.

Heiko Tornow

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