Willkommen im magischen Paradies auf Union Island

Bericht 32
Logbuch der Luv
Vor Anker im Atoll von  Union Island
Wetter : Südost vier , 28 Grad, trocken
 
57 Menschen aus Afrika  starben innerhalb von nur zehn Monaten auf Union Islands Zuckerrohrplantagen an den Folgen schlimmer Behandlung durch ihre Sklaventreiber.  Das war im Jahre 1777. Mitten im zentralen Dorf der kleinen Grenadineninsel in der Karibik erinnert eine Steele an ihr
schreckliches Schicksal. Die Sklaverei ist längst Geschichte,  Erinnerung nur die harte Arbeit; Zuckerrohr wird längst nicht mehr angebaut, gar nichts mehr wird auf Union Island in nennenswerten Mengen angebaut. Gefühlte Arbeitslosigkeit: Über 50 Prozent. Tourismus ist der Monopolwirtschaftszweig, Haupteinnahmequelle sind Leute wie wir, Yachties aus Europa und Amerika, angelockt von immerwährenden  Warmbadetagen  über buntbelebten Korallenriffs bei stetig freundlicher Passatbrise. „Willkommen an diesem magischen Platz.  Und vergiss, dass die Welt existiert“ , grüßt ein Schild am Ortseingang.
 
Ich komme gerade vom Zoll und fühle mich von dem Spruch mächtig auf den Arm genommen. Wie wollen mit unserer Luv morgen früh zurück nach St. Lucia und Schiff und Mannschaft müssen ausklariert werden; wie immer eine lästige Pflicht für den Skipper. Beim Einklarieren in Chateaubelair hatten wir uns zu viel Zeit gelassen und dafür ein Bußgeld zahlen müssen. Heute bin ich Minuten nach derAnkunft beim Zoll und bei der Immigration – und jetzt ist der Strafbetrag mehr als doppelt so hoch. Es sei Sonntag, sagt der Beamte, und Sonntags kostet die Abmeldung mehr:
„Overtime!“ Überstunden.
 
Und wenn ich ihn heute nun nicht in seiner Ruhe gestört hätte und ich wäre erst morgen Früh erschienen? Nein, das geht schon gar nicht, das kostet natürlich „Overtime“, Verspätungszuschlag. Ich wäre geneigt, die Zumutung zu schlucken, die erschwingliche Summe abzubuchen unter privater Entwicklungshilfe für eine wirklich bettelarme Bananenrepublik. Wenn diese Beamten nicht so ausdrücklich, so ganz und gar vorsätzlich, so handgreiflich unhöflich wären.
Aber der Reihe nach: Zwei Zöllner sitzen ganz weit hinten in einem sonst sehr leerem, sehr großen Raum, blicken auf einen kleinen Bildschirm  eines Tablet-PC. Ich sage freundlich: „Good day to you, gentlemen!“  Die beiden zeigen keine Reaktion. Ich sage freundlich und jetzt laut: „Good day to you, gentlemen!“ Der uniformierte der beiden Männer greift mit der Hand in eine Kiste und schiebt ein Formular herüber. „Ausfüllen.“, sagt er, der Blick bleibt auf dem Bildschirm. Ich höre jetzt auch den Ton eines Actionfilmes.
 
Es ist das gleiche unsägliche Formular, das ich schon beim letzten mal ausgefüllt habe, dieselben Namen und Daten und Passnummern aller Crewmitglieder, Länge, Breite und Tiefe der Luv, woher und wohin  – alles Daten, die der souveräne Staat St. Vincent schon längst mit vierfach
durchgedrücktem Kohlepapier in seinen Akten nachschlagen und mit der NSA austauschen könnte. Ich zeige das Einreisepapier mit wenig Hoffnung: „
Einfach kopieren?“ Geht natürlich nicht, ein Kopierer ist nicht vorhanden, nur der Tablett-PC, der Ton des Baller-Films ist jetzt ziemlich
laut gedreht. Der Vorgesetzte der beiden sitzt in einem klimatisierten Büro, er ist der mit der „Overtime“. 63,45 EC-Dollar will er haben, ich gebe ihm zwei Fünfziger. „No Change.“, sagt er, er kann nicht wechseln. Er bittet mich nicht etwa, er schickt mich nach schräg gegenüber zur Immigration, zum Einreisebeamten: “ Get Change.“. Der Mann dort hat tatsächlich Kleingeld, aber nicht klein genug. Der Rest von 1,55 EC-Dollar wird einbehalten.
Auf dem Rückweg sehe ich wieder das Schild. “ Vergiss, dass die Welt existiert.“ Das fällt nicht ganz leicht an diesem magischen Platz.
 
Heiko Tornow
 

In einer Piratenhöhle mit Stempel, Formular und einer Quittung für die Beute

 

Bericht 31

Gewässer um Saint Vincent und Grenadinen

Wetter : Südost vier Bft, abflauend, 28 grad, leichte Schauerböen
 
„Chateaubelair“ heißt die palmen- und  strandbesäumte  Bucht an der Nordwestecke der
Insel Saint Vincent; in dem französischen Namen stecken „Schloss“ und „gute Luft“. Wir werfen den Anker auf zehn Meter Wassertiefe. Es ist stockdunkel, vom nahen Ort schimmern ein paar schwache Laternen, karibiktypische Steelband- Musik dringt herüber, auch der Gestank einer schwelenden Müllhalde, „belair“ eben. 
Nur eine Bucht weiter, drei Meilen südlich, so steht es im Yachtführer „Doyle“, wurde der Piratenfilm „Fluch der Karibik“ mit Jonny Depp gedreht. Die Filmemacher hatten sich auf unseren Ankerplatz wohl nicht getraut. Besagter Führer, eine Art Bibel für Karibiksegler,  verrät nämlich, dass „Chateaubelair“ bis vor kurzem für friedliche Seefahrer wie wir nicht sicher sei, ein echtes Piratennest also.  Ankerlieger mussten mit unangemeldetem nächtlichem Besuch rechnen.
Die Besucher, so lesen wir, seien nunmehr im Knast, man müsse sich nicht mehr sorgen. Unabhängig voneinander schauen gleich drei Crewmitglieder nach dem Datum des Buches. Von wann datiert die Entwarnung im Doyle? Wie lange hat der Filmpirat Käpt’n Jack Sparrow gebraucht, um aus seinem Gefängnis auszubrechen und erneut vor Anker liegende fremde Schiffe zu besuchen und zu berauben?
Wir beschließen einstimmig, abwechselnd je eine Stunde Nachtwache zu gehen. Sicher ist sicher und unser Küchenbeil liegt griffbereit in leicht erreichbarer Schublade. Am frühen Morgen erhalten wir tatsächlich Besuch. Ein junger Mann auf einem gepaddelten Kunststoffbrett bringt uns frische Brötchen. Beim Frühstück öffne ich mit dem Beil einige Kokosnüsse. Die Milch schmeckt herrlich.
 
Die Luv ist unterwegs zu den Grenadinen, einem Archipel von einigen Dutzend Traumzielen mit Kokospalmen, weißen Sandstränden, türkisfarbenem Wasser über bunten Korallenbänken, mit wunderschönen Mädchen, die mit waschbrettbäuchigen Jungmännern in einer Tour Cola-Rum trinken und verzückt nach Raggaemusik tanzen. Da gehören wir natürlich hin –  jedenfalls die jüngeren der Crew, die sich an ihren eigenen Waschbrettbauch noch erinnern können und auf einem Surfbrett eine passable Figur machen.
 
Um in diesem Paradies ankern zu dürfen, benötigt man eine Einreiseerlaubnis des zwar sehr kleinen aber sehr souveränen Karibikstaates Saint Vincent und der Ort  Chateaubelair ist der erste erreichbare Zollplatz mit Einreisebehörde.  Die öffnet  um acht Uhr in der Früh, steht im „Doyle“. Als Skipper der Luv muss ich den lästigen Behördengang erledigen. Mit dem Beiboot geht’s an Land; ein Typ, der ohne sich umzuziehen locker in die Mannschaft der „Black Pearl“ gepasst hätte, bietet mir an, mir den Weg zum Zollamt zu zeigen. Ein Matschpfad entlang der vermüllten Küste, dann weiter nach links zwischen  halbverfallenen Bretterbuden und wilden Kleingärten, einige Stufen über eine sogenannte Treppe, eine verrostete Gittertür zu einem maroden Gebäude. Ich denke wieder mulmig  an den „Fluch der Karibik“ und frage mich ernsthaft, warum ich meinem Führer so leichtsinnig hierhin gefolgt bin und der zeigt im
Hof auf ein kleines handgemaltes Schild: „Custom“, Zoll. Die Beamtin empfängt mich in ihrem karg möblierten Büro,  barfuß, in kurzen Hosen und gelbem T-Shirt. Sehr freundlich bietet sir mir einen Stuhl. Dann erklärt sie mir, dass die Luv sich schon gestern Abend hätte bei ihr melden müssen, jetzt würde eine Strafe für das verspätete Einklarieren fällig, sie wäre 24 Stunden am Tag im Dienst.
Glaube ich sofort!

Ich wähne mich erneut verraten und verkauft und unter die Wegelagerer gefallen. Nie im Leben würde irgendein Yachtie dieses Zollamt im Dustern finden, das ist ja sogar in der Sonne unsichtbar. Ja, sagt die freundliche Zöllnerin mit viel Verständnis, schon viele seien an ihrem Haus vorbeigelaufen, es gäbe leider keinen hilfreichen Hinweis an der Strasse. Ich frage: Welche Straße? Und auch  kein amtliches  Schild, bedauert sie, aber so sei die Vorschrift: 35 East Karibien Dollars Bußgeld. Erst als sie schließlich Stempel herausholt und mir ein sehr großes Formular aushändigt, welches auszufüllen 35 Minuten dauert, beruhigen sich meine Nerven. Eine echte Räuberhöhle mit Stempel und Formular und sogar einer Quittung für die Beute. Das gibt es nicht. Das muss ein Amt sein.

 

Heiko Tornow

 

Ein großer Sieg – Sehr unwichtig für den Rest der Welt

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Logbuch der Luv Nr. 31
Hafen von Rodney Bay, Saint Lucia
Wetter: Regenschauer. Wind: Nordost 3 bis 4 bft

Nach 11 Tagen, 6 Stunden, 58 Minuten und 41 Sekunden ist es vorbei. Die Luv gleitet hoch am Wind in die Bucht von Rodney  Bay und mit guter Fahrt über die Ziellinie. Wir fallen uns in die Arme, klopfen, uns auf die Schultern, die halbe Crew springt ins warme Karibikwasser. Wir freuen uns mindestens so lauthals wie BVB-Klopp nach einem Sieg über Schalke. Aber die Nation nimmt keine Notiz davon, dass da eine Yacht, die unter deutscher Flagge fährt, soeben eine  internationale transatlantische Wettfahrt gewonnen hat: die „Atlantic Rallye for Cruiser“, 800 Meilen von Las Palmas zu den Cap Verdischen Inseln und von dort nach St. Lucia, noch einmal 2080 Meilen.

Die Luv gewinnt beide Etappen! Beides mal ein Start-Ziel-Sieg, beides mal First-Ship-home!  “ Well done!“, gut gemacht. Das ist das höchste Lob, das wir von unseren Gegnern ernten können.

Offen und freundlich gegeben, sammeln wir eine reiche Ernte ein.

Sehr befriedigend für die Beteiligten, sehr unwichtig für den Rest der Welt. Hochseesegeln ist eine Randsportart, wie das schottische Baumstammweitwerfen etwa oder Telefonbuch-Zerreissen, nur deutlich teurer, mehr oder weniger Privatsache eben.  Man kann ja leider den Seglern nicht bei ihrem Tagewerk zuschauen. Und könnte man es, es wäre rasch langweilig.

Einer steht am Ruder, zwei ziehen  mal an dieser, mal an jener Leine. Einer kocht, zwei schlafen, alles wackelt.  Stundenlang, tagelang.

Allenfalls der Start mit vielen grossen Yachten ist fernsehgeeignet. Nur der Zieldurchgang ist noch ein Foto wert. In unserem Fall ein besonders schönes. Die Luv mit dicht gezogenem Spinnacker und hoch am Wind, in der Kante liegend, das Wasser schäumt. Till steht im Bugkorb und schaut zum Ziel. Hat was. Das wird bleiben. Ist aber teuer. 300 Dollar will der Yachtfotograf dafür haben.

Was bleibt noch von unserer Reise über die hohe See? Die gute Erfahrung, dass es sieben Individualisten gelingen kann, sich zurückzunehmen, tolerant die jeweiligen Macken der anderen zu ertragen, verlässlich in der Routine und zupackend in der Gefahr zu handeln, gemeinsam ein Ziel zu formulieren und entschlossen anzugehen und all das über so lange Zeit auf so engem Raum.

Auch ohne Sieg ist das allein die erstklassige Leistung einer tollen Crew: Eggert, Arne, Michael, Claus, Basti, Till.

Es reicht, dass wir das wissen. Wir pfeifen aufs Publikum.

Heiko Tornow

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Vom Steuern mit dem scheinbaren Wind

Bericht 30

Position 15 Grad 35 Minuten N

58 Grad 4408 Minuten W

Wetter : bedeckt., Neumond, die in der Nähe der Kurszahl liegt

Wind O 4 Bft , Seegang 3-4 Meter,

Schauerböen bis 7 Bft.

Die letzte Nacht. Morgen Nachmittag segelt die Luv über die Ziellinie vor Rodney Bay, dem Hafen der Karibikinsel St. Lucia. Vorausgesetzt natürlich, dass wir nicht zuvor noch gegen einen herrenlos treibenden Container fahren. Den würden wir nicht sehen, dem würden wir nicht ausweichen können, selbst wenn er warngelb gestrichen wäre. Wir sehen nämlich gar nichts. Nur die Erfahrung sagt uns, dass zwischen dem dunklen Oben und dem noch schwärzeren Darunter irgendwo ein Horizont ist und auf dem Horizont unser Ziel.

Den Kurs dahin zu finden und zu halten, ist heute Nacht das Problem. Der Steuermann, im Augenblick ist es Arne, hat lediglich zwei elektronische Anzeigen, um sich zu orientieren. Zum einen ist da der Kompass, eine digitale Anzeige mit stark gedimmten rotem Licht. Die gesteuerte Kurszahl ist nicht eine einzige Sekunde gleich. Sie springt rauf und runter, mal in Zweier-, Fünfer-, dann in Siebener- oder Zehnerschritten, eine Zahl, die in der Nähe des gewünschten Kurse liegt, ist kaum je auszumachen. Arne soll 265 Grad steuern. Das tut er aber nicht. Das kann er auch gar nicht. Der Wind, eben bläst er mit 28 Knoten (7 Beaufort), drückt die Luv hierhin, die Welle das Heck dorthin; in jedem Augenblick wirken diese beiden Kräfte unvorhersehbar – mal zerren sie als Verbündete beide nach backbord, dann die eine hierhin, die andere Gott-weiß-wohin.

Zusätzlich zum Kompass leuchtet schwach die Windlupe, ein handtellergroßes Display, auf dem ein Pfeil verrät, woher der Wind kommt und wie stark er ist. Das Instrument zeigt nicht den wahren Wind an sondern den, der an Bord spürbar ist und wirksam wird. Fährt die Luv etwa, wie eben gerade, mit acht Knoten fast vor dem Wind, reduziert der eigene Speed die gefühlte Geschwindigkeit des Windes auf nur noch 20 Knoten; das sind erträgliche vier bis fünf Beaufort.

Aber nur so lange Arne auf Kurs bleibt, also „Platt vorm Laken“. Ändert sich der Kurs plötzlich, was eben gerade wieder geschieht, um 20 Grad, trifft der scheinbare Wind sofort schneller auf die Segel. Und kräftiger. Die Luv nimmt auch Fahrt auf, jetzt sind es zehn Knoten, und sie schießt noch weitere 15 Grad aus dem Kurs. Sie segelt jetzt mit dem Wind von der Seite, die vollen sieben Bft. hauen auf das Schiff. Scheinbar und wahr sind kurzfristig wieder eins. Arne muss hart gegensteuern, mit seiner ganzen Kraft. Das Schiff läuft wieder vor dem Wind, der Druck im Rigg läßt nach. Dann geht es mit der nächsten Welle, mit der nächsten Boe, von vorn los. Im Sekundentakt.

Ruhigen Kurs zu halten unter solchen Bedingungen ist so gut wie unmöglich. Instrumentenblindflug, nervenaufreibend, unangenehm und sehr anstrengend.

Die Lösung des Problems ist die Verkleinerung der Segel, reffen. So wird entschieden. So wird’s gemacht. Die Luv liegt ruhiger, Arne kann den Kurs fast halten. Und auf einmal lösen sich die dichten Wolken auf, gleichsam als wollten sie uns belohnen. Der Steuermann wählt einen geeigneten Stern in Fahrtrichtung und richtet seinen Kurs danach aus. Genau, gerade entspannt.

Bleibt die Sache mit den treibenden Containern. Die verdrängen wir jetzt mal. Wir genießen unsere letzte Nacht auf See.

Heiko Tornow

 

Kein Krönchen für den Spitzenreiter

Bericht 29

Logbuch der Luv

Position 15 Grad 08 Minuten N

55 Grad 20 Minuten W

Wetter : sternenklare Nacht, kein Mond

Wind ONO 4 , Seegang 3 Meter,

Gefahr von White Squalls

 

Noch 330 Seemeilen bis St. Lucia. Nur noch 330 Meilen! Wir haben den möglichen Sieg in dem Seerennen der Atlantic Rallye für Cruisers (ARC) unmittelbar vor Augen. Der Abstand zu unseren beiden engsten Verfolgern, der amerikanischen Swan 53 „Bela Vela“ und der dänischen X-442 „Mathilde“, wächst seit Tagen; langsam zwar, aber stetig. Der „Racetracker“, das Internetprogramm, das Position, Kurs und Geschwindigkeit aller 47 auf den Cap Verdischen Inseln gestarteten Yachten in Echtzeit darstellt, notiert die Luv von Anfang an nur auf dem Platz zwei. Aber das ist Unsinn. Die „Viking“ aus England ist ganze drei Tage vor allen anderen Booten allein auf die 2080 Meilen lange Reise in die Karibik gegangen, selbstverständlich außer Konkurrenz. Warum der Computer diesen Frühstarter gleichwohl als Teilnehmer führt und noch dazu in seiner Grafik mit dem Krönchen des Spitzenreiters schmückt, die Auszeichnung, die allein der Luv gebührt, bleibt ein wirres Geheimnis. Computerprogramme können so dämlich sein.

Jeder Fußballfan weiß: Ein Spiel dauert 90 Minuten. Plus Nachspielzeit. Und in keiner Minute werden so viele Tore geschossen, gehen so viele Spiele verloren wie in der neunzigsten. Regattaseglern kann es ähnlich gehen. Da schippert das führende Boot weit vor dem Feld bis kurz vors Ziel. Dann stirbt der Wind, es „liegt im Öl“. Die Flaute aber wirkt nur für den Ersten. Die anderen haben noch eine Brise, bleiben in Fahrt und segeln an dem Favoriten vorbei. Tausendfach passiert.

Es gibt andere Gefahren. Bei der Hochseesegelei kann es immer mal zu einer Havarie kommen: das Segel zerreißt, der Mast kommt von oben, das Ruder bricht. Uns flog in der vergangenen Nacht der Spinnaker davon. Eine der gefürchteten Hammerböen, ein „White Squall“ überfällt die Luv von hinten, boxt in Groß- und Vorsegel, drückt das Schiff auf die See. Die Wache wirft die Schoten los, damit der Druck aus den Segeln genommen wird. Der große Spinnaker schüttelt und schlägt so wild und heftig, dass sich die Spezialschäkel lösen, mit denen die Schoten an den Spi-Enden befestigt sind. Der Spi fliegt frei vor dem Mast, oben am Top nur noch vom Fall gehalten.

Um über eine lange und anstrengende Aktion kurz zu berihten:Irgendwie können wir das teure Stück bergen und schließlich auch wieder setzen.

Das hätte auch gründlich schief gehen können. Dreimal sind wir jetzt durch die Sqalls in überaus kritische Lagen geraten. Wir beschließen für die letzten beiden dunklen Nächte, kein Risiko mehr einzugehen. Beim kleinsten Anzeichen eines „White Squalls“ werden wir den Spinnaker sofort wegnehmen. Das bedeutet für die Freiwache ständige Bereitschaft, Schwimmweste und Sicherheitsgurt in Reichweite. Auf ersten Zuruf müssen alle Mann an Deck. An ruhigen Schlaf ist nicht mehr zu denken.

Ohne das große Vorsegel sind wir natürlich deutlich langsamer. Wir riskieren nun nicht mehr Segel und Schiff aber unseren Vorsprung.

Sei`s drum.

Heiko Tornow

Bericht 28

Logbuch der Luv

Position 15 Grad 21 Minuten N

53 Grad 23 Minuten W

Wetter : sternenklare Nacht, kein Mond

Wind NO 6 , Seegang 3-5 Meter

Der Watermaker ist kaputt. Sein Motor läuft nicht an. Wir können kein Trinkwasser mehr machen. Das ist gar nicht lustig, die Luv hat jetzt ein wirkliches Problem. Sofort wird die Order ausgegeben: „Wasser sparen.“ Aber sowas von! 200 Liter sind noch da. Nur 200 Liter für sieben Mann und noch sind es über 500 Meilen bis St. Lucia. Wenn wir in eine Flaute segeln sollten und darin tagelang hängenbleiben – nichts Ungewöhnliches in diesen Breiten – dann wird es wirklich eng.

Nicht, dass man schon ans Verdursten denken muss. Für die für unerlässlich erachteten drei Liter pro Mann und Tag reichen eine ganze Weile. Dennoch ist der Sparbeschluss für die Crew eine gewaltige Umstellung. Was haben wir bedenkenlos rumgeaast mit dem jetzt auf einmal so kostbaren Nass. Wer immer möchte, gönnt sich achtern am Heck eine Ganzkörperdusche mit dem eigens dort angebrachten Duschschlauch. Schweiß und Salz und Sonnenschutzöl werden abgespült. Was für eine herrliche Erfrischung, der beste Moment des heißen Tropentages.

Wasser wird verbraucht bei der kleinen Wäsche am Morgen. Mal sieben! Beim Händewaschen zwischendurch und mit voll aufgedrehtem Wasserhahn verschwinden locker jedes mal zwei bis drei Liter im Ausguss. Mal sieben! Jede Wache hinterlässt der Ablösung ein sauberes Geschirr. Das heißt: Abwasch in der Pantry alle vier Stunden. Minimum vier Liter gehen dabei drauf, mal sechs. Waschtag ist auf der Luv beinahe an jedem Tag. Mal schrubbt einer seine Hosen mit Rei in der Tube, mal weicht der andere seine Unterwäsche in einer Pütz mit Frischwasser ein. Immer baumeln nasse Kleidungsstücke am Seezaun der Luv. Von gestern bis heute haben wir an die 140 Liter verbraucht, zwanzig Liter pro Mann und Nase.

 

Mit all diesem gedankenlosen Luxus ist jetzt Schluss. Trinkwasser ist nur noch zum Trinken da, schließlich heißt es deshalb so. Kochen geht auch noch, und Zähneputzen. Aber nur mit halbvoll gefülltem Becher den Mund ausspülen. Und der ganze Rest? Seewasser ist schließlich auch Wasser. Man kann damit spülen, Pellkartoffeln kochen. Händewaschen ist schon grenzwertig, Wäschewaschen geht gar nicht. Die gesalzenen Klamotten werden kaum trocken und kratzen ganz furchtbar auf der Haut.

 

Derweil wir uns innerlich auf die anstehenden Unannehmlichkeiten und Entbehrungen einstellen ist Claus kopfüber im Maschinenraum verschwunden. Nach einer Weile taucht er wieder auf: „Der Motor läuft wieder. Es waren die Kohlen.“

Der Watermaker macht wieder Wasser mit Hilfe von Strom aus dem Generator, hohem Druck und ausgetüftelter Osmosetechnik. 25 Liter in der

stunde. Das schafft. Basti nimmt an der Dusche am Heck sein vorhin noch abgesagtes Ganzkörperbad. Michael und Arne waschen das Geschirr ab. Die Stimmung an Bord erreicht in kurzer Zeit ihr gewohnt hohes Niveau. Der Wasserverbrauch auch.

Nein stimmt gar nicht. Basti hat sich zwar mit Süßwasser kurz abgespült, zuvor jedoch mit einem Eimer Seewasser gewaschen. Michael hat das Geschirr mit Salzwasser vorgespült und so den Süßwasserverbrauch halbiert. Der Wasserhahn bleibt öfter zu und ist bei Gebrauch kürzer auf. Wir haben was gelernt.

Der Prokopfverbrauch an Land beträgt übrigens 127 Liter pro Tag. Quelle: Wasserwerke

Heiko Tornow

 

„Und was macht Ihr, wenn einer von Euch Nachts über Bord geht?“

Bericht 27

Logbuch der Luv

Position 15 Grad 31 Minuten N

49 Grad 19 Minuten W

Wetter : sternenklare Nacht, kein Mond

Wind NO 4-5 , Seegang 2-3 Meter

Eine immer wieder gern gestellte Frage. Einer von uns geht also über Bord? Michael darf das auf keinen Fall sein. Er am allerwenigsten. Ohne ihn wäre die Luv fahruntüchtig. Außer Michael weiß niemand, wo was in den 87000 Schapps und Schränken, Schubladen und sonstigen Behältnissen der Yacht verstaut ist. „Michael! Wo ist mein Sonnenhut?“ Michael weiß nicht nur, wo das Utensil sich gerade mal wieder versteckt hat, er holt es auch und übergibt es:“Bitte sehr.“ Michael ist der gute Geist der Mannschaft. Er hat den Kaffee schon fertig, bevor nach ihm gefragt wird. Er schafft Ordnung im Chaos unter Deck, eine ganz besondere Dauerleistung. Michael versinkt also nicht.

Till schon gar nicht. Der junge Tischler ist geschätzt als Reparateur von allen möglichen Sachen. Den Rudi hat er wieder hingekriegt, unsere Selbststeueranlage. Auch die Klotür schließt wieder. Man stelle sich vor, sie stünde immer auf. Und außerdem: Wen kam man jederzeit aus seiner Freiwache an Deck rufen, wenn Not am Mann ist. Till ist aus tiefstem Schlaf sofort da:“Was liegt an? Was kann ich tun?“ So einen brauchen wir. Unbedingt.

Eggert? Der fällt sowieso nicht über Bord. Der Boots- und Wachführer weiß nämlich, wie man das vermeidet. Eggert weiß alles. Nachts erklärt der gelernte Physiker, was das Weltall im Innersten zusammenhält („Es hält gar nicht zusammen, es dehnt sich mit wachsender Geschwindigkeit aus.“) und tagsüber tüftelt er erfolgreich Regatta-strategisches am Computer aus. Eggert ist der einzige an Bord, der sich mit unserer Satellitenkommunikationsanlage auskennt. Ohne ihn kein Wetterbericht. Ohne ihn keine Information darüber, dass wir gegenwärtig ganz vorn liegen in der Wettfahrt von Las Palmas nach St. Lucia.

Basti geht schon allein deshalb nicht über Bord, weil er sich immer und überall anschnallt. Der gelernte Rettungsmediziner ist da konsequentes Vorbild für die Nachlässigen an Bord: „Heiko, geh runter und leg deine Rettungsweste an.“ Als Vorschiffsmann ist er gemeinsam mit Till dafür verantwortlich dafür, dass die Manöver klappen. Sie klappen. Verlässlich.

Claus, der erfahrene, ruhige, wortkarge Seemann ist auch so einer , um den uns jede Crew beneidet. Er kann alles, tut alles. Präzises Steuern, freiwillige Backschaft, tolles Labskaus kochen, Leinen mit neuen Taklings versehen, ständig den richtigen Trimm der Segel im Blick. Nein, den Claus müssen wir auch von der Liste streichen.

Dann ist da noch Arne, der zweite Wachführer der Luv. Der ist schon mal nachts über Bord gegangen, eben gerade vor ein paar Tagen. Im Hafen von Mindelow sieht er, wie ein Stegnachbar, ein besoffener Engländer, zwischen sein Schiff und den Steg fällt. Entweder, der wird gleich zu Tode gequetscht oder er ersäuft. Die kritische Situation erkennen und sofort handeln, ist eins. Mit gewaltigem Satz springt Arne zur Rettungstat von Bord – und landet erst einmal im Wasser, Handy in der Tasche, Schienbein lädiert. Darum kümmert sich der St. Pauli-Fan erst, nachdem der Engländer aus dem Wasser gezogen ist.

Auf Arne also können wir nicht verzichten.

Bleibt der Autor dieser Zeilen. Auch der muss nicht ins Wasser. Wer sollte sonst über so ein Unglück berichten? Und außerdem allein die Vorstellung: Allein im Ozean, 4500 Meter Wasser unter den Füßen, das schwankende Hecklicht der Luv entfernt sich immer weiter, Haie vielleicht. Gruselige Vorstellung. Wir lassen das mit dem Mann über Bord.

Heiko Tornow

 

Eine gar nicht so herrliche Nacht auf See : White Squalls im Passat

Bericht 26

Logbuch der Luv

Position 15 Grad 48 Minuten N

46 Grad 22 Minuten W

Wetter : leicht bewölkt

Wind NO 4-5 , Seegang 3 Meter

Eine gar nicht so herrliche Nacht auf See : White Squalls im Passat

„Und wieder beginnt ein herrlicher Tag auf See.“ Irgendeiner kommt garantiert mit diesem Schnack, und recht hat er: Es ist noch nicht heiß, die Sonne beginnt den Horizont erst pastellblau, dann rosa bis glutrot zu färben. Wieder ein Sonnenaufgang, den Caspar David Friedrich sich geschämt hätte, zu malen. So kitschig schön. Das erste Licht des neuen Tages verleiht den Passatwolken eine ungeheuer präzise Plastizität. Der erste Kaffee in der Mug dampft, wir unterhalten uns entspannt über Gott und die Welt. Wegen solcher Momente fahren wir mit der Luv zur See.

Heute Nacht dagegen hätte sich die Crew wohl liebend gern an Land gewünscht. Zweimal fallen die gefürchteten „Whith Squalls“ über die Luv her. Aus buchstäblich heiterem Himmel hämmern unglaublich harte Böen in die Segel. Das Tuch schlägt knallend gegen das Rigg, Leinen peitschen gegen Mast und Baum und Deck. Eben noch war leises Segeln unter Spinnaker in vergleichsweise ruhiger See. Jetzt ist die Hölle los. Den ersten Squall wettert die Wache noch mit einigem Aufwand allein ab. Dann geht nichts mehr. Die Luv hat zu viel Tuch oben. Der Sturm fährt in den Spi, das Schiff legt sich auf die Seite, läuft vollständig aus dem Kurs, der Mast berührt fast das aufgepeitschte Wasser. Gegen solche Kräfte ist Arne am Ruder machtlos. Selbst „Hart Backbord“ hat null Wirkung. Sonnenschuß! Vor Mastbruch und Untergang DER Gau der Seesegelei. Was heißt hier Sonnenschuß? Noch nicht mal der Mond scheint. Die Sterne über dichter Wolkendecke geben heute Nacht kein Licht. Bei all dem Lärm, dem sich wild bewegendem Schiff, dem Chaos rundherum, auch noch vollkommene Blindheit.

Die vier Mann von der Freiwache sind aus ihren Kojen gefallen, erscheinen rasch an Deck und packen mit an. Die erste Maßnahme: Der Spinnaker muß runter. Um jeden Preis. Till und Basti, die jüngsten und fittesten, müssen aufs Vorschiff. Angeschnallt natürlich. Das Manöver gelingt reibungslos trotz der Widrigkeiten. Jeder in der Crew kennt seinen Platz, beherrscht seine Handgriffe auch im Dustern. Es bedarf keiner Kommandos – die hätte bei dem Lärm auch niemand gehört. Als das riesige Tuch unten ist, herrscht Ruhe. Der Wind ist zwar noch schnell, passt aber wieder zur Besegelung. Die Luv gehorcht dem Ruder. Die Freiwache geht wieder pennen. Routine.

Tagsüber sind die Hammerböen schon von weitem zu erkennen. Dunkle Wolken ballen sich zusammen, verdichten sich zu einem räumlich kleinen aber ungeheuer energiereichen Tiefdrucksystem. Rollt es von hinten mit dem Passat heran, künden die großen weißen Schaumkronen von der schnellen Luft. Es bleibt Zeit, die Segel zu reffen.

Also schauen wir regelmäßig achteraus. Keine weißen Böen in Sicht. Dafür die Bella Vela, eine große Swan, wir haben sie in der Nacht überholt. Weil wir mit Spi gesegelt sind. Und die nicht.

Soviel zur Frage, warum wir das Risiko eingegangen sind. Die Luv ist in einer Regatta.

Heiko Tornow