Ein großer Sieg – Sehr unwichtig für den Rest der Welt

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Logbuch der Luv Nr. 31
Hafen von Rodney Bay, Saint Lucia
Wetter: Regenschauer. Wind: Nordost 3 bis 4 bft

Nach 11 Tagen, 6 Stunden, 58 Minuten und 41 Sekunden ist es vorbei. Die Luv gleitet hoch am Wind in die Bucht von Rodney  Bay und mit guter Fahrt über die Ziellinie. Wir fallen uns in die Arme, klopfen, uns auf die Schultern, die halbe Crew springt ins warme Karibikwasser. Wir freuen uns mindestens so lauthals wie BVB-Klopp nach einem Sieg über Schalke. Aber die Nation nimmt keine Notiz davon, dass da eine Yacht, die unter deutscher Flagge fährt, soeben eine  internationale transatlantische Wettfahrt gewonnen hat: die „Atlantic Rallye for Cruiser“, 800 Meilen von Las Palmas zu den Cap Verdischen Inseln und von dort nach St. Lucia, noch einmal 2080 Meilen.

Die Luv gewinnt beide Etappen! Beides mal ein Start-Ziel-Sieg, beides mal First-Ship-home!  “ Well done!“, gut gemacht. Das ist das höchste Lob, das wir von unseren Gegnern ernten können.

Offen und freundlich gegeben, sammeln wir eine reiche Ernte ein.

Sehr befriedigend für die Beteiligten, sehr unwichtig für den Rest der Welt. Hochseesegeln ist eine Randsportart, wie das schottische Baumstammweitwerfen etwa oder Telefonbuch-Zerreissen, nur deutlich teurer, mehr oder weniger Privatsache eben.  Man kann ja leider den Seglern nicht bei ihrem Tagewerk zuschauen. Und könnte man es, es wäre rasch langweilig.

Einer steht am Ruder, zwei ziehen  mal an dieser, mal an jener Leine. Einer kocht, zwei schlafen, alles wackelt.  Stundenlang, tagelang.

Allenfalls der Start mit vielen grossen Yachten ist fernsehgeeignet. Nur der Zieldurchgang ist noch ein Foto wert. In unserem Fall ein besonders schönes. Die Luv mit dicht gezogenem Spinnacker und hoch am Wind, in der Kante liegend, das Wasser schäumt. Till steht im Bugkorb und schaut zum Ziel. Hat was. Das wird bleiben. Ist aber teuer. 300 Dollar will der Yachtfotograf dafür haben.

Was bleibt noch von unserer Reise über die hohe See? Die gute Erfahrung, dass es sieben Individualisten gelingen kann, sich zurückzunehmen, tolerant die jeweiligen Macken der anderen zu ertragen, verlässlich in der Routine und zupackend in der Gefahr zu handeln, gemeinsam ein Ziel zu formulieren und entschlossen anzugehen und all das über so lange Zeit auf so engem Raum.

Auch ohne Sieg ist das allein die erstklassige Leistung einer tollen Crew: Eggert, Arne, Michael, Claus, Basti, Till.

Es reicht, dass wir das wissen. Wir pfeifen aufs Publikum.

Heiko Tornow

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Bericht 21

Position 16 Grad 27  Minuten N

30 Grad 22 Minuten W

Wetter : Mond im letzten Quadranten, leicht bewölkt. Wind NO 4 bis 5

 

Eggert hält sein Ohr ans Achterstag. Die lange Stahlstange, die den 22 Meter hohen Mast davon abhält, unter Wind- und Segeldruck nach vorn zu kippen, gibt ein jaulendes, quitschendes, unangenemes und vor allem unvorschriftsmässiges Geräusch von sich. Der hohe Ton läßt sich vergleichen mit dem Kratzen eines Fingernagels auf einer Schultafel. Unten im Salon hört man es auch. Es kommt aus dem Mast. Eggert vermutet, irgendeine der zahlreichen Umlenkrollen für die vielen Leinen, die zu den Segeln führen, macht schlapp, hat einen Defekt, läuft nicht mehr wie geschmiert und jetzt protestiert sie gegen die schlechte Behandlung und jammert.

 

Segeln vor dem Nordost-Passat ist Stress für alle Teile des Schiffes. Einundzwanzig, zweiundzwanzig, dreiundzwanzig, vierundzwanzig…In diesen vier Sekunden rollt die Luv von Backbord nach Steuerbord, und wieder zurück. Nach links um 99 Grad, nach rechts um 98 grad. Nach rechts deshalb nicht so weit, weil dass Großsegel das Schiff  gegen den Wind abstützt. Einundzwanzig, zweiundzwanzig, dreiundzwanzig….21600 mal am Tag. Alle paar Minuten wirft eine besonders hohe Welle, die sich nicht an die vom Wind vorgegebene Richtung hält und quer zur See läüuft, die Luv um einige Grad tiefer auf die Backe. Nach links um 99 Grad, nach rechts um 98 Grad. Neben dieser lateralen Bewegung gibt`s noch die horizentale. Immer mal wieder hebt eine Woge mit lärmendem Rauschen das Heck um bis zu drei Meter in den Himmel, läuft gurgelnd unter dem Rumpf nach vorn und hinterlässt ein ebenso tiefes Tal, in das die Luv- Bug voran-  hinunterglitscht. 

„De arme Lüd an Land.“, sagt der Seemann und bedauert damit die Landratten, denen eine solch wackelige Welt naturgemäß frend bleiben muss. 

Heiko Tornow 

Und schon wieder zwei Handbreit Wasser überm Kiel

 Bericht 20

Position 16Grad 25 Minuten N

28 Grad 22 Minuten W

Wetter : Sonnig, leicht bewölkt. Wind NO 5 bis 6

 Was dem Fussballer der Rasen, ist dem Seemann das Wasser: sein eigentliches Element. Man sollte meinen, Segler könnten gar nicht genug davon bekommen. Diese Annahme gilt mit zwei Einschränkungen. Zum einen ist zu viel Wasser im Rumgrog durchaus unbeliebt in Seefahrerkreisen, zum anderen mag niemand zwei Handbreit Wasser über dem Kiel.

Genau soviel salziger Ozean schwappt heute früh bis an die Bodenbretter im Salon der Luv. Wasser im Schiff! Das darf nicht! Und so viel! Das muß raus. Sinken wir? Alle Mann an die Pumpen! Wo ist der Einbruch? Ist das Rettungsboot klar? Müssen wir jetztz gleich SOS morsen oder reicht Mayday oder gar nur PANPAN PANPAN PANPAN?

Die elektrische Lenzpumpe gibt rasch auf. Die Handpumpe im Cockpit funktioniert einwandfrei, wurde gerade erst erneuert. Langsam sinkt der Wasserpegel und die Hoffnung steigt. Der Notruf bleibt ein nicht ausgesprochener Gedanke.

 

Wir nehmen die schweren Bodenbretter hoch. Die Vorräte, die in der Bilge über dem Kiel lagern, schwimmen, viele Dosen haben kein Etikett mehr. Das gibt demnächst Überraschungsmenues: Rote Beete mit Apfelmus oder Eierravioli mit Ananas. Mit Eimer und Feudel macht die Mannschaft Reinschiff im abgesoffenen Rumpf. Till taucht derweil hinten in die Backskiste unter und fahndet nach dem Leck. Wir haben einen bösen Verdacht. Schon einmal waren durch ein defektes Lenzrohr im Heck einige hundert Liter Atlantik in die LUV gelaufen. Das war während des Blue-Race von Newport bei New York nach Hamburg. Die Männer auf der Werft hatten den Auftrag, diesen Mangel fürs nächste mal absolut auszuschließen. Haben sie auch versprochen. Aber nicht gehalten. An gleicher Stelle der gleiche Mist. Mit jeder Welle dringt Wasser ein und verteilt sich gleichmässig im auf den Wellen schwankenden Schiff. Till dichtet das Leck mit einer Schlauchschelle ab.

Minuten vor dem Start zur Ralley in die Karibik am gestrigen Mittag gabs schon einen GAU. Wir setzen das Großsegel und wollen es mit dem hydraulischen Baumniederholer trimmen. Der Baum läßt sich aber nicht niederholen. Der frische Wind füllt das grosse Tuch, der schwere Baum steigt, das Segel beult sich zum formloskraftlosen Sack am Mast. Hydrauliköl spritzt an Deck. Noch vier Minuten bis zum Start. Nur noch Zeit für eine Notreparatur. Eine schnell geriggte Leine, ein Umlenkblock und eine freie Winsch werden zwekckentfremdet, der Baum halbwegs heruntergezwungen. Noch eine Minute bis zum Start. Rasche Manöver mit dem Großsegel sind jetzt nicht mehr möglich. Noch zehn Sekunden, fünf, zwei. Start. Ich weiss nicht wie aber die Luv ist wieder die erste Yacht von 47 an der Linie und sie verteidigt den Vorsprung auf den ersten Meilen im engen Kanal zwischen den beiden Inseln Antao und Sao Vicente. Der Passat presst die Luft hindurch. Weil die hohen Berge rechts und links dem Wind keinen Ausweg lassen, wird er schneller. Sehr schnell. Am Ende ein ausgewachsener Sturm mit Böen von über 9 Beaufort. Dasmit hat keiner in der ARC-Flotte gerechnet. Schon gar nicht der Skipper von Mathilde, der härteste Konkurrent der LUV auf der Etappe von Las Palmas zu den Cap Verde Inseln. Die Mathilde, eine X-Yacht wie die Luv,  setzt ihren Spinnaker, sie will unbedingt aufholen. Der Spi steht keine zwei Minuten, da fliegt er mit lautem Knall aus den Lieken und liegt im Wasser. Geschätzer Schaden: ca 8000 Euro. Geschätzter Zeitverlust: etwa zehn Minuten. Wir bedauern die Mathildes aufrichtig.

So ein Start zu einem Seerennen ist schon eine furchtbar aufregende Sache. Er wird aber gerne überschätzt. Vor uns liegen 2080 Seemeilen, wenn alles gut geht, sind wir in etwas über 270 Stunden drüben in St. Lucia. Was sind da zehn Minuten.

 

Heiko Tornow

 

Mit Columbus über den Teich, aber auf anderem Kurs

Bericht 22

Position 15 Grad 59 Minuten N

33 Grad 25 Minuten W

Wetter : leicht bewölkt. Wind ONO 4 bis 5, Böen bis 7, Seegang 2 bis 3 Meter

Plötzlich sind sie da. Über hunderte von Meilen ist niemand von der ARC-Flotte in Sicht. Ein absolut blanker Horizont. Man hätte sich vorstellen können, die Luv liege vor allen anderen im Rennen über dem Atlantik und heimlich hatte dies der eine oder andere bei uns an Bord wohl auch gehofft. Aber da segeln sie. Die belgische Aronax, steuerbord achteraus, Abstand drei Seemeilen und die dänische Mathilde an Backbord, fünf Meilen voraus. Alle drei X-Yachten, die drei Preisträger der ersten Etappe, wieder dicht beieinander.

Nach dem turbulenten Start vor drei Tagen hatte sich die Spreu vom Weizen schnell getrennt. Vorne weg die doppelrümpfigen Katamarane, sie segeln in einer eigenen Klasse und zählen unter richtigen Traditionsseglern mit kleinen Vorurteilen eher als schwimmende Wohnzimmer mit Mast denn als richtiges Segelschiff mit Kiel. Dann folgen die großen Einrumpfboote der Klasse A, deutlich vor den kürzeren und leichteren Kreuzern. Einmal freigesegelt von den stürmischen Küste der Cap Verden steuert jedes Schiff seinen eigenen Kurs, jeder Navigator hat seine eigene Taktik, jeder Skipper seine private Strategie. Mit Einbruch der Nacht hat sich die Flotte auf dem großen Ozean weit verteilt. Jeder Steuermann hat das gleiche Ziel vor Augen, jeder schaut anderswo hin. Steckt Logik in all der Wirrnis?

Man sollte meinen, der Kurs sei für alle gleich. Das Ziel der Wettfahrt, St. Lucia, liegt genau im Westen, 270 Grad, keine Minute nördlich oder südlich. 270 Grad! Was soll da der jeweils andere Kurs? Christoph Columbus, der 1492 auf genau der gleichen Strecke wie wir gegenwärtig in Richtung Westen segelte, hatte es einfach. Seine Santa Maria besaß quadratische Segel, an einer Rah gebunden, die 90 Grad zur Kiellinie stand. Der östliche Wind blies vierkant dagegen, die Karavelle wurde nach Westen geschoben. Statt eines Segels hätte er genauso gut ein Brett an den Mast nageln können. Columbus, einmal aufgebrochen, konnte gar nicht anders, als Amerika zu entdecken. „Vor dem Wind“, heißt es, „läuft ein Bund Stroh.“ Aber es läuft verdammt langsam. Columbus hatte Zeit. 36 Tage benötigte er für seine historische Reise. Wir wollen es in zehn Tagen schaffen. Da müssen wir die physikalische Erkenntnis nutzen, dass ein vom Wind angeströmtes Segel ungleich mehr Vortriebskraft entwickelt, als ein nur platt angepustetes. Die unterschiedlichen Segelschnitte, die Vielfalt der Rumpfformen, die Höhe der Masten, das Gewicht der Schiffe und natürlich Können und Erfahrung der jeweiligen Crews führen nun mal bei 47 Schiffen zu 46 Kursen.

Columbus dagegen ahnte nichts von Strömungsphysik, das Kreuzen gegen den Wind galt damals noch als Teufelszeug und Hexerei. Columbus hatte auch keinen Wetterbericht und das mag sogar ein Erkenntnistheoretischer Vorteil gewesen sein. Wir haben einen mit viel Mühe mit Hilfe der nur mangelhaft funktionierenden Satellitenempfangsanlage aus dem Äther gefischt. Danach soll es in zwei Tagen im Süden mehr Wind aus einer besseren Richtung geben. Die Luv-Crew unterstellt wider alle schlechten Erfahrungen mit Wetterpropheten: Diesmal haben sie Recht. Wir segeln nach Südwest. Mathilde und Aronax waren zuletzt im Nordosten zu sehen.

Heiko Tornow

Erfolgreiche Wettfahrt- gescheiterte Landnahme für Angela

Bericht 19

Im Hafen von Mindelo, Cap Verde

Wetter: Passatwind 4 bis 5. Leicht bewölkt.

Die Luv liegt seit Tagen in der fünftschönsten Bucht der Welt.  Diese Mitteilung stammt vom Hafenkapitän von Mindelo. Beim Empfang für die etwa 200 Segler der ARC+-Rallye von Las Palmas zu den Cap Verden preist er in Vertretung des Bürgermeisters die Vorzüge seiner Heimat und freut sich riesig , dass zum ersten mal eine so bedeutende internationale Hochseeregatta sein Mindelo zum Ziel gewählt hat.

Die Freude ist ganz auf unserer Seite. Wir erleben genau das bunte, laute, fröhliche, freundliche und fremde Afrika, dass wir erhofft hatten, als wir unser Schiff für eben diese erste Etappe der Transatlantik-Wettfahrt anmeldeten. Zumal wir auch noch gewonnen haben. Ein sauberer Start-Ziel-Sieg. Die von der Regattaleitung veröffentlichte Ergebnisliste verrät unsere erfolgreiche Taktik: Nicht der gerade Weg von den Kanarischen Inseln ins Archipel der Cap Verdes war der schnellste, vielmehr die Zickzack-Kreuz vor dem immerwährend aus Nordost blasenden Passat. Wir hielten so die Luv dauernd auf höchstem Speed, segelten zwar mit 913 Seemeilen 19 mehr als  die zweitplatzierte britische Shamrock, waren aber am Ende nach vier Tagen und 13 Stunden deutlich als erste Yacht über der Ziellinie. Auch die Zeitkorrekturen, die zwischen niemals baugleichen oder gleichgrossen Schiffen für ausgleichende Gerechtigkeit sorgen, halfen der Konkurrenz nicht.  die Luv ist und bleibt First ship home und First ship auch nach berechneter Zeit. Besser geht nicht. ( Hab ich nach dem gelungenen Start in Las Palmas zwar schon mal geschrieben, aber das musste jetzt mal sein).

Die Insel São Vicente wartet seit mehr als 300 Tagen auf Regen. Der Passat bläst zwar täglich Wolken in die kleine Inselwelt der Cap Verde, an den  niedrigen Vulkangipfeln von Såo Vicente aber wehen sie vorüber. Die Regenzeit im September und Oktober ist komplett ausgeblieben.  Beim Ausflug zu den Kratern und Traumstränden der Insel fahren wir durch eine ausgedörrte Landschaft, in der selbst die Kakteen verdursten. Die Menschen versuchen auf kleinsten Grundstücken so etwas wie Landwirtschaft aufrecht zu erhalten. Auf dem Kopf tragen Frauen schwere Wasserkanister lange Strecken. Wir fragen uns, warum eigentlich immer die Frauen? Das Wasser wird in Mindelo mit Dieselstrom aus Meereswasser gewonnen und ist entsprechend teuer. Es ist streng verpönt, mit Süßwasser die Schiffe zu waschen. Nicht alle Eigner halten sich an diese Regel für Einsichtige.

Die Luv-Crew will baden.  Wir pusten unser Gummiboot auf, klettern alle sechs hinein und schippern -leicht überladen-  umrunden den großen Wellenbrecher vor dem Hafen und nehmen Kurs zu dem Strand, der mit schneeweißem Sand  in der Nordostecke der fünftschönsten Bucht der Welt lockt. Ein wirklich schöner Strand vor bizarrer Bergkulisse. Und so menschenleer und glattgefeht. Wir fühlen uns wie Kolumbus an neu entdeckter Küste und taufen den Strand “ Angelas Bay“.   Da kommt ein Mann auf uns zu und bedeutet uns mit bedauernden Gesten, wir dürften hier nicht schwimmen, niemand dürfe das. Und tatsächlich, von der Landseite ist der Streifen mit einem hohen Bauzaun gegen unbefugtes Betreten gesichert. Wir vermuten, dass der Tourismusminister noch keine Zeit gefunden hat, den Strand einzuweihen und wir wollen ihm den Spaß nicht verderben.  Wir lassen „Angelas Bay“ bedauernd zurück und springen einfach so vom Gummiboot ins warme Wasser.

Heiko Tornow