You wonna Ride?

„You wonna ride?“ – Im Hafen von Sourie hält ein Auto neben der LUV-Crew. Wir hatten uns eben mit unseren Einkaufstüten auf den Weg ins Zentrum des kleinen Ortes gemacht, als das Fenster herunter gekurbelt wird. Ob er uns mitnehmen solle, fragt der Mann, dem vier Fußgänger wohl komisch vorgekommen sind. Hier, auf der Prince Edward Insel, ist man entweder mit dem Boot unterwegs oder mit dem Auto. Niemand läuft durch diese Gegend.

Wir klettern in den Wagen, der riecht sehr nach Hummer.  Während der kurzen Strecke zum Einkaufszentrum erfahren wir über Sourie, dass es 1800 Einwohner zählt, die meisten sind Fischer, Hummerfischer, fast alles Nachfahren von schottischen Einwanderern. Dort sei das Krankenhaus, sagt der Fahrer, hier hätten die Gemeindeväter gerade eine Schule platt gemacht und „da ist der Schnapsladen, wenn ihr was braucht.“  Alkoholische Getränke erhalte man hier in Kanada ausschließlich in solchen lizensierten Geschäften und wir bekommen neben diesem Hinweis von unserem Fremdenführer noch eine Visitenkarte mit den Kontaktdaten der örtlichen Anonymen Alkoholiker: „Wenn Ihr Probleme mit dem Saufen haben solltet.“ Er heiße übrigens Tim und – wie viele Schotten hier  – MacDonald und er sei auch bei den AA.

Vor dem Supermarkt überlegt es sich Tim anders: „Ich zeig Euch mal was.“ Und er zeigt den deutschen Seglern, ohne dass die darum gebeten hätten, einfach mal so, seine schöne Heimat. „Hier“, sagt er stolz, „bekommen wir eine neue Brücke über den Fluß.“ Der Man dort, Timm nennt uns den Namen, angelt mit Fliegen nach den sehr schmackhaften Salzwasserforellen. Dies Grundstück mit Seeblick gehört jetzt reichen US-Amerikanern, die hier alle guten Parzellen aufgekauft haben, als sie noch richtig billig waren. Man gewinnt den Eindruck, dass Tim MacDonald auf reiche Amerikaner nicht gut zu sprechen ist.

Die Fahrt geht durch eine hügelige Landschaft, vorbei an buschigen Wäldern,  kleinen See, großen Bauernhöfen. Wir besichtigen eine katholische Kirche, gebaut aus dem allgegenwärtigen tiefroten Inselsandstein, der uns sehr an Helgoland erinnert. Viele der alten Holzhäuser, die das Bild der weitläufigen Siedlung prägen, sind zu verkaufen. Geld für neue Farbe, sagt unser freundliche Fahrer, hätten auch nicht mehr alle und deutet auf Gebäude, deren Fassaden schon mal  bessere Zeiten erlebt haben. Nach einer Dreiviertel Stunde wissen wir fast alles über Geschichte und Gegenwart Souries.

Über sich selbst erzählt Tim, dass er mal, vor vielen Jahrzehnten, mit dem berühmten Sir Edmund Hilarie an einer Antarktikexpedition teilgenommen habe. Drei Wochen seien sie damals im Eis eingeschlossen gewesen.

Morgen, am Sonnabend, werde er übrigens 78 Jahre  alt. In der Früh fahre er mit seinem Kutter hinaus zum Fischen, wie immer seit mehr als fünfzig Jahren: „Nur sonntags nicht.“

Als Tim MacDonald uns schließlich absetzt, sagt er: „Hat mich sehr gefreut.“

Ich sage: „Ganz meinerseits. Ganz uns gar meinerseits.“

Heiko Tornow

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Überall ist Maryland

Die amerikanischen Behörden verlangen von durchreisenden Segelbooten, dass sich der Skipper und seine Crew allabendlich telefonisch bei der Customs and Borderprotektion meldet, jedenfalls dann, wenn das Schiff seine Position verändert hat. Die Amis wollen halt wissen, wer sich bei ihnen wo herumtreibt. Wir sind ja willig.
Ich habe diese Kommunikationsaufgabe an Michael delegiert. Er ist nicht so allergisch gegen überflüssige Bürokratie wie ich, spricht feinstes Oxford-Englisch und es gelingt es ihm wie keinem, mit wahrer Engelsgeduld die Gesprächspartner so lange um verständliche Aussprache zu bitten, bis diese entnervt aufgeben und uns für diesen Abend in Ruhe lassen.
 
Hier die Übersetzung eines typisches Telefongespräches zwischen einem Menschen der Zoll- und Grenzschützbehörde und der LUV:
 
„Hier ist Michael von der deutschen Segelyacht LUV. Wir wollen uns bei Ihnen melden.“
„Whuaereairju?“
„Das habe ich nicht verstanden. Bitte wiederholen Sie“
„Whuaereairju?“
„Hier ist Michael von der deutschen Segelyacht LUV.“
„Wo – sind – Sie?“
„Im Potomac.“
„Whieuriesdat?“
„Das habe ich nicht verstanden. Bitte wiederholen Sie.“
„Whieuriesdat?“
„Hier ist Michael von der deutschen Segelyacht LUV. Bitte noch einmal.“
„Wo – ist  – das, Potomac?“
„Das ist der Fluß, der von der Chesapeake Bucht nach Washington führt.“
„In – welchem – Bundesstaat  – ist – das?“
„Sie sind doch von hier. Woher soll ich das wissen?“
„In – welchem – Hafen – sind – Sie?“
„Wir liegen vor Anker in der Loan River Bucht.“
„Whieuriesdat?“
„Das habe ich nicht verstanden. Bitte wiederholen Sie.“
„Wo – ist – das?“
„Das – ist – eine – Bucht – im – Potomac. Das – ist  ein – Fluss….“
„Ok. Keine Stadt?“
„Nein.“
“ Dann – brauchen – Sie – sich – auch – nicht – zu – melden. Erst – in – der – nächsten – Stadt.“
Na dann.
In der nächsten Stadt sind wir am Freitagabend. Die Grenzschützer sind nur noch per Anrufbeantworter erreichbar. Wir diktieren Namen und Standort und die Nummer unserer Reise-Erlaubnis aufs Band und bitten um Rückruf. Die Stimme vom Band bedroht uns nämlich, wir müssten zehntausend Dollar bezahlen, wenn wir der Meldepflicht nicht nachkommen. Wie aber belegen wir unsere Gesetzestreue? Auch am Sonnabend macht der US-Grenzschutz frei, am Sonntag sowieso.
Am Montag der Rückruf:

„Weiditjunotcompleiwisthelo?“

„Hier ist Michael von der deutschen Segelyacht LUV. Ich habe Sie nicht verstanden.“
„Warum – haben – Sie – sich – nicht – gemeldet? „
„Warum haben  Sie Ihren Anrufbeantworter nicht abgehört?“
„Oh – Sie – haben -darauf -gesprochen.?“
„Dreimal.“
„Whuaereairjuexakkt?“
„Bitte wiederholen Sie.“
„Wo – sind – Sie – jetzt – gerade – genau?“
„Ich laufe gerade zum Supermarkt.“
„Ach – Sie – gehen? Sie sind nicht im Auto?“
„Ich habe kein Auto, ich gehe zu Fuß. Und sonst segel ich.
„Wirklich?“
„Wirklich.“
Nach einigem Hin und Her einigt Michael sich mit dem Beamten darauf, dass wir jetzt erstmal eine Zeitlang in den Gewässern von Maryland bleiben. Solange die LUV die Grenzen  dieses Bundesstaates nicht verlässt, müssen wir uns nicht erneut melden.
 
Für die LUV  ist erst einmal überall Maryland.

Bericht 21

Position 16 Grad 27  Minuten N

30 Grad 22 Minuten W

Wetter : Mond im letzten Quadranten, leicht bewölkt. Wind NO 4 bis 5

 

Eggert hält sein Ohr ans Achterstag. Die lange Stahlstange, die den 22 Meter hohen Mast davon abhält, unter Wind- und Segeldruck nach vorn zu kippen, gibt ein jaulendes, quitschendes, unangenemes und vor allem unvorschriftsmässiges Geräusch von sich. Der hohe Ton läßt sich vergleichen mit dem Kratzen eines Fingernagels auf einer Schultafel. Unten im Salon hört man es auch. Es kommt aus dem Mast. Eggert vermutet, irgendeine der zahlreichen Umlenkrollen für die vielen Leinen, die zu den Segeln führen, macht schlapp, hat einen Defekt, läuft nicht mehr wie geschmiert und jetzt protestiert sie gegen die schlechte Behandlung und jammert.

 

Segeln vor dem Nordost-Passat ist Stress für alle Teile des Schiffes. Einundzwanzig, zweiundzwanzig, dreiundzwanzig, vierundzwanzig…In diesen vier Sekunden rollt die Luv von Backbord nach Steuerbord, und wieder zurück. Nach links um 99 Grad, nach rechts um 98 grad. Nach rechts deshalb nicht so weit, weil dass Großsegel das Schiff  gegen den Wind abstützt. Einundzwanzig, zweiundzwanzig, dreiundzwanzig….21600 mal am Tag. Alle paar Minuten wirft eine besonders hohe Welle, die sich nicht an die vom Wind vorgegebene Richtung hält und quer zur See läüuft, die Luv um einige Grad tiefer auf die Backe. Nach links um 99 Grad, nach rechts um 98 Grad. Neben dieser lateralen Bewegung gibt`s noch die horizentale. Immer mal wieder hebt eine Woge mit lärmendem Rauschen das Heck um bis zu drei Meter in den Himmel, läuft gurgelnd unter dem Rumpf nach vorn und hinterlässt ein ebenso tiefes Tal, in das die Luv- Bug voran-  hinunterglitscht. 

„De arme Lüd an Land.“, sagt der Seemann und bedauert damit die Landratten, denen eine solch wackelige Welt naturgemäß frend bleiben muss. 

Heiko Tornow 

Und schon wieder zwei Handbreit Wasser überm Kiel

 Bericht 20

Position 16Grad 25 Minuten N

28 Grad 22 Minuten W

Wetter : Sonnig, leicht bewölkt. Wind NO 5 bis 6

 Was dem Fussballer der Rasen, ist dem Seemann das Wasser: sein eigentliches Element. Man sollte meinen, Segler könnten gar nicht genug davon bekommen. Diese Annahme gilt mit zwei Einschränkungen. Zum einen ist zu viel Wasser im Rumgrog durchaus unbeliebt in Seefahrerkreisen, zum anderen mag niemand zwei Handbreit Wasser über dem Kiel.

Genau soviel salziger Ozean schwappt heute früh bis an die Bodenbretter im Salon der Luv. Wasser im Schiff! Das darf nicht! Und so viel! Das muß raus. Sinken wir? Alle Mann an die Pumpen! Wo ist der Einbruch? Ist das Rettungsboot klar? Müssen wir jetztz gleich SOS morsen oder reicht Mayday oder gar nur PANPAN PANPAN PANPAN?

Die elektrische Lenzpumpe gibt rasch auf. Die Handpumpe im Cockpit funktioniert einwandfrei, wurde gerade erst erneuert. Langsam sinkt der Wasserpegel und die Hoffnung steigt. Der Notruf bleibt ein nicht ausgesprochener Gedanke.

 

Wir nehmen die schweren Bodenbretter hoch. Die Vorräte, die in der Bilge über dem Kiel lagern, schwimmen, viele Dosen haben kein Etikett mehr. Das gibt demnächst Überraschungsmenues: Rote Beete mit Apfelmus oder Eierravioli mit Ananas. Mit Eimer und Feudel macht die Mannschaft Reinschiff im abgesoffenen Rumpf. Till taucht derweil hinten in die Backskiste unter und fahndet nach dem Leck. Wir haben einen bösen Verdacht. Schon einmal waren durch ein defektes Lenzrohr im Heck einige hundert Liter Atlantik in die LUV gelaufen. Das war während des Blue-Race von Newport bei New York nach Hamburg. Die Männer auf der Werft hatten den Auftrag, diesen Mangel fürs nächste mal absolut auszuschließen. Haben sie auch versprochen. Aber nicht gehalten. An gleicher Stelle der gleiche Mist. Mit jeder Welle dringt Wasser ein und verteilt sich gleichmässig im auf den Wellen schwankenden Schiff. Till dichtet das Leck mit einer Schlauchschelle ab.

Minuten vor dem Start zur Ralley in die Karibik am gestrigen Mittag gabs schon einen GAU. Wir setzen das Großsegel und wollen es mit dem hydraulischen Baumniederholer trimmen. Der Baum läßt sich aber nicht niederholen. Der frische Wind füllt das grosse Tuch, der schwere Baum steigt, das Segel beult sich zum formloskraftlosen Sack am Mast. Hydrauliköl spritzt an Deck. Noch vier Minuten bis zum Start. Nur noch Zeit für eine Notreparatur. Eine schnell geriggte Leine, ein Umlenkblock und eine freie Winsch werden zwekckentfremdet, der Baum halbwegs heruntergezwungen. Noch eine Minute bis zum Start. Rasche Manöver mit dem Großsegel sind jetzt nicht mehr möglich. Noch zehn Sekunden, fünf, zwei. Start. Ich weiss nicht wie aber die Luv ist wieder die erste Yacht von 47 an der Linie und sie verteidigt den Vorsprung auf den ersten Meilen im engen Kanal zwischen den beiden Inseln Antao und Sao Vicente. Der Passat presst die Luft hindurch. Weil die hohen Berge rechts und links dem Wind keinen Ausweg lassen, wird er schneller. Sehr schnell. Am Ende ein ausgewachsener Sturm mit Böen von über 9 Beaufort. Dasmit hat keiner in der ARC-Flotte gerechnet. Schon gar nicht der Skipper von Mathilde, der härteste Konkurrent der LUV auf der Etappe von Las Palmas zu den Cap Verde Inseln. Die Mathilde, eine X-Yacht wie die Luv,  setzt ihren Spinnaker, sie will unbedingt aufholen. Der Spi steht keine zwei Minuten, da fliegt er mit lautem Knall aus den Lieken und liegt im Wasser. Geschätzer Schaden: ca 8000 Euro. Geschätzter Zeitverlust: etwa zehn Minuten. Wir bedauern die Mathildes aufrichtig.

So ein Start zu einem Seerennen ist schon eine furchtbar aufregende Sache. Er wird aber gerne überschätzt. Vor uns liegen 2080 Seemeilen, wenn alles gut geht, sind wir in etwas über 270 Stunden drüben in St. Lucia. Was sind da zehn Minuten.

 

Heiko Tornow