Eine kleine Nachtmusik

Es ist Mitternacht. Eben haben Michael und Eggert uns abgelöst. Hundemüde haue ich mich in die Koje. Die Augen fallen zu. Die Ohren bleiben wach.

Unter Deck ist die LUV eine Klanghöhle mit erstaunlicher Akustik. Obwohl der allgemeine Lärmpegel gefühlt 98 Dezibel erreicht, sind die einzelnen Geräuschquellen wie die Instrumente in einem exzellenten Konzertsaal präzise zu orten und zu identifizieren. Im Schapp rechts über dem Gasherd klicken zum Beispiel  die Becher unserer Muckensammlung im Takt der Schiffsbewegung aneinander. Die Trinkgefässe erinnern an wichtige Stationen unserer bisherigen Reise: Brügge, ( Klick) La Corunha,( Klack) Cap Verde, (Kling) St. Lucia, ( Klick), Washington, (Klack), Neu Fundland ( Kling). Gleich nebenan die hellere Antwort der Gläser. Ihr zartes „Ping“ wird plötzlich übertönt von einem grausigen Knistern. Irgendwer zerknüllt mal wieder eine Kunststoffwasserflasche, damit sie Platz findet im Müllbehälter. Noch eine Flasche verliert krächzend ihre Form. Dies Zwischenspiel endet  mit einen knallendem Ausrufezeichen : Die Tür vor dem Mülleimer fällt ins Schloss, nein sie haut. Es ist nach ein Uhr!

Aus der geschlossenen Tür zum Bad dringen die Geräusche, die dort zu erwarten sind. Die glatten Wände und Spiegel bilden mit Decke und Klo einen tadellosen Resonanzkörper. Auch das abschliessende Händewaschen geschieht nicht unbemerkt. Die Frischwasserpumpe unter meinem Kopfkissen springt an und rattert und surrt eine kurze Minute.

Der Takt des übrigen Konzertes wird vorgegeben von den Wellen. Heute Nacht dauert es genau zweikommasieben Sekunden, bis die See die LUV von Backbord nach Steuerbord und zurück geworfen hat. In seinem Decksdurchlass knarzt der Mast an den Kunststoffführungen: einundzwanzig, zweiundzwanzig, dreiundz….

Die Möbel in der Messe dröhnen eine Oktave tiefer ein wenig mit.

einundzwanzig, zweiundzwanzig, dreiundz….

Das Großsegel ruckt in die Schot, der Baum scheppert in seinem Lager. Der Schotblock knallt an Deck. einundzwanzig, zweiundzwanzig, dreiundz….Der Wind missbraucht die Wanten als ungestimmte Harfe. Das ganze Rigg organisiert sich als Chor und brummt und summt seine maritime Melodie ohne jedes Gefühl für Harmonie.

Mein Gewicht drückt und entlastet im Rhythmus des steigenden und fallenden Schiffes meine Matratze und jedesmal …. einundzwanzig, zweiundzwanzig, dreiundz….

seufzt der Schaumstoff leise in mein Ohr.

Bar jeden Taktgefühls schnarcht ein Mitsegler, den all das nicht kümmert. Er hat sein Gehör mit Ohropax ausgeschaltet.

Überlagert wird diese schräge  Kakophonie vom allgegenwärtigen Windbrausen, das mal auf- mal abschwillt, eine unendliche Arie, mal Bass, mal Bariton, mal irgendwas dazwischen. Dazu das  Klatschen und Rauschen der See an der Bordwand als immerwährendes Kontinuo.

Aus dem dunklen Cockpit dringt die helle Stimme von Michael nach unten, er kann nicht flüstern. Der Mond, sagt er, werde bald voll sein. Ja, sagt Eggert, das dauert nicht mehr lange. Vor ein paar Tagen, sagt Michael , hätten wir noch Halbmond gehabt.

Ja, sagt Eggert, gar nicht so lange her. Jetzt sei der Mond aber noch gar nicht so rund, sagt Michael. Nein, sagt Eggert, stimmt.

Welch ein Rezitativ. Und da soll einer in den Schlaf finden.

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