Die LUV pflügt mit guter Fahrt durch die Fundy-Bucht. Wir haben die USA
verlassen. Vor uns 80 Meilen bis zum ersten kanadischen Hafen, Yarmouth,
auf der Insel Nova Scotia. In der Seekarte steht: Whalefeeding Area. Hier
füttern sich also die Wale fett. Mal sehen, ob wir auf unserem Törn
welche beobachten. Touristen können sich in beinahe jedem Hafen in der
Gegend für bis zu 50 Dollar pro Tour mit Whalewatchbooten hinaus auf den
Atlantik schippern lassen und – wenn sie nicht seekrank werden in der
langen hohen Dünung – Meeressäuger beoachten. Wir wollen unbedingt auch
welche sehen, kostenlos.
James sieht erst mal gar nichts. Er sucht seine Brille. Um fünf Uhr
früh, lange vor Sonnenaufgang, sind wir ankerauf gegangen, haben das
Schiff seeklar gemacht und die Segel gesetzt. Alles ohne James. Der bleibt
unter Deck, hebt alle Polster hoch, leuchtet mit der Taschenlampe in jedes
Schwalbennest. Wir erinnern ihn, dass er gestern Abend mit uns noch im
stCockpit gesessen und den absolut atemberaubenden Sternenhimmel
bewundert habe. Ob er da seine Brille…? Oder vielleicht in der
Toilette…? Zwischen den Unterhosen in der Schmutzwäsche…?
James, sonst ein ewig ruhiges um nich zu sagen phlegmatisches Temperament, wird allmählich nervös. Er flucht und schimpft wie der alte Seebär, der er ja auch ist. Ohne Brille geht es nicht. Ich helfe beim S uchen. Wir gehen gemeinsam noch einmal alles durch, das ganze Schiff von vor bis achtern. Vergeblich.
Eggert steht am Ruder und ruft: „Da, der erste Wal.“ Ich stürze nach draussen. Tatsächlich, keine 50 Meter voraus an Steuerbord der schwarze Rücken eines riesigen Tieres.Er ist kurz nur sichtbar, schnauft einmal laut und nass, dann ist er abgetaucht.
Ich halte konzentriert Ausschau. Meine Sicht ist nicht gut. Ich nehme meine Brille ab um sie zu putzen. Da ist es die von James.
Na ja.
Heiko Tornow