Neues von der Luv

Die Seefahrt in diesen Gewässern entlang der amerikanischen Ostküste ist definitiv etwas für Zoologen. Im Hafen von Cap Canaveral zirkelte ein Exemplar der sagenumwobenen Seekühe um die Luv. Diese seltenen Meeressäuger wurden vor Zeiten für Seejungfrauen gehalten.
Was wir allein heute von Bord der Luv an Tieren beobachten können, reicht für einige Kapitel in Brehms Tierleben. Das Natur-Watching beginnt gleich in der Früh mit den Pelikänen (wir haben uns auf den Plural mit A-Umlaut geeinigt, weil das besser passt zu diesen auf den ersten Blick so plumpen Wasservögeln).  Scheinbar gemütlich und ohne böse Absicht flattern sie mit langsamen Flügelschlägen in 15 Metern Höhe über der ruhigen See. Auf einmal verwandelt sich der Vogel in einen Pfeil. Der Hals schnellt nach vorn, die Flügel sind angelegt wie bei einem Jet und blitzschnell stürzt sich der Jäger auf einen für den Betrachter unsichtbaren Fisch. Gleich schwimmt der Pelikan wieder auf den Wellen und schleudert seine Beute von Schnabel in den weiten Kehlsack. Ein zufriedenes Kopfschütteln und schon erhebt er sich wieder in die Luft, 15 Meter hoch, scheinbar gemütlich und ohne Arg.
Von diesen sich wegen der vielen Pelikäne sich vielfach wiederholenden Jagdscenen werden wir abgelenkt durch Delphine. Die sind hier deutlich größer als im östlichen und im mittleren Atlantik, dafür aber auch deutlich träger. Während die -sagen wir- europäischen Delphine immer mal wieder Wettrennen mit der Luv veranstalteten und spielerische Show-Einlagen vor dem Bug zum Besten gaben, nehmen ihre amerikanischen Vettern von der deutschen Segelyacht kaum Notiz. Ungerührt tauchen sie im Takt und mit unnachahmlich eleganten Bögen auf und unter und lassen uns Steuer- oder Backbord liegen. Dabei sind Segler, zumal deutsche, hier eine absolute Seltenheit. Auf dem Wasser findet sich seit Fort Lauderdale im Süden Floridas bis hier vor Charleston, South-Carolina, kaum ein Segel am Horizont und in den Häfen sind die Piers leer. Es sei zu früh im Jahr, meint der freundliche Hafenmeister in Charleston und räumt uns großzügig den Liegeplatzrabatt ein, der sonst nur einheimischen Yachtclubmitgliedern gewährt wird. Die eingesparten Dollars verbraten wir in einem irischen Pub mit großartiger Country-und Western-Mucke.

 

Aber ich wollte von Tieren berichten. Die überfallen uns gerade zu dutzenden, zu hunderten, zu tausenden. Die Luft ist auf einmal voll mit kleinen schwarzen Fliegen. Sie lassen sich auf dem Deck nieder, bilden ein Schwarm auf dem Hemd des Rudergängers, sind unzählige Punkte auf den Segeln, mit jeden Handgriff an einer Leine werden die Viecher zerquetscht, jeder Schritt tötet, wer sich im Cockpit hinsetzt, verursacht ein Massaker. Auf der Meeresoberfläche schwimmen die Leichen unzähliger Insekten. Eggert rechnet mal schnell hoch. Pro Quadratmeter fünfzig Kadaver, macht auf den Quadratkilometer 50 Millionen Flattertiere. Multipliziert mit der wie immer sehr hohen Dunkelziffer kommen wir auf 400 Milliarden Fliegen, die mit dem Wind von Land über uns hereingebrochen sind.
Mit Besen und Seewasser versuchen wir der Invasion aus der Luft Herr zu werden. Kaum haben wir eine Hälfte des Schiffes einigermaßen von den Plagegeistern befreit, fallen erneut noch dichtere Schwärme über uns herein. Sie nisten im Haar, krabbeln ins Ohr, kriechen in die Nase. Es ist widerlich. Unsere Hoffnung, der auffrischende Wind würde den Spuk wegblasen, wird bitter enttäuscht. Wir suchen unser Heil in der Flucht hinaus auf See. Wir sind jetzt elf Meilen weg vom Land und noch immer atmen wir Fliegen.
Wir bekommen Besuch. Ein etwa drosselgrosser bunter Vogel landet erschöpft im Cockpit direkt hinter dem Rudergänger. Er ist mit seinem kernbeisserähnlichen dicken Schnabel erkennbar ein Landtier. Eine halbe Stunde hockt er regungslos und mit geschlossenen Augen auf dem Teakdeck und wir können ihn bewundern: leuchtend rote Brust, schwarz-weiß geflecktes Gefieder wie bei einer Elster, eine richtige Schönheit. Die Fliegen interessieren ihn nicht weiter. Er pickt mal nach zwei oder drei Exemplaren, die vor seinem Schnabel vorbeikrabbeln aber er frisst sie nicht. Typisch Körnerfresser, sicher keine Hilfe im Abwehrkampf gegen die Fliegen. Unser blinder Passagier pickt noch einmal in meinen Finger als ich ihn kraulen will und verschwindet dann in Richtung North Carolina. Hoffentlich verirrt er sich nicht wieder.

 

Wir versuchen uns derweil als Naturforscher und stellen uns die Frage, was sich wohl die Evolution dabei gedacht hat, ein solches Massenfliegen und Massensterben zu veranstalten. Ich habe ähnliches schon einmal vor Jahren  in der Ostsee im südlichen Dänemark erlebt, als Milliarden von Marienkäfern Land, Schiff und Meer mit ihren gelbroten Leibern überzogen. Antwort erhalten wir auf einfachere Fragen: unsere Fliegen sind zwischen acht bis zehn Millimeter groß, zweiflügelig. Der schlanke dunkelorange Körper ist deutlich dünner als der einer Stubenfliege. Wir stellen außerdem  fest: sie sind farbenblind. Jedenfalls ist keine Vorliebe erkennbar, wenn sie sich auf der deutschen Nationalflagge am Heck niederlassen: ob schwarz, ob rot ob gold: die Fliegendichte ist auf allen Streifen gleich hoch.

 

Der Wind hat mittlerweile die ersoffenen Insekten zu langen Teppichen auf der Meeresoberfläche zusammengefegt. Forellengrosse Fische springen zu Dutzenden und halten ein größeres Festessen. Eine uralte beachtlich große  Meeresschildkröte beißt auch in das Fliegentuch. Auf Ihrem braunen Rücken wachsen lange Algen und dicke Muscheln. Ob auch die Schwärme von großen Rochen sich an der Kadaverbeseitigung beteiligen, können wir nur vermuten. Jedenfalls bieten sie uns ein tolles Schauspiel wie sie gut choreografiert eben unter der Wasseroberfläche im perfekten Formationsflug vorbeiziehen.
Erst als die Dunkelheit hereinbricht, geben die Fliegen ruh. Wir lernen zusätzlich, dass es sich um tagaktive Tiere handelt, die als Eintagsfliegen nach getaner Belästigung nachts mit kollektivem Selbstmord aufgeben. Gottseidank.

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