Bericht 33

Logbuch der Luv

Hafen von Marin, Martinique

Wetter : Bedeckt,  Südost vier , 28 Grad, feucht

Stürmische Reise zwischen zwei Welten  

Die Distanz zwischen der ersten und der dritten Welt beträgt ziemlich genau 22 Seemeilen. Am ersten Weihnachtstag sind wir sie abgesegelt und wir erleben hautnah den Unterschied zwischen zwei benachbarten Karibikinseln, wie er krasser kaum sein kann. 

Die Luv verlässt St. Lucia am ersten Weihnachtsfeiertag, man könnte auch sagen: wir flüchten. Der 24. Dezember ist buchstäblich ins Wasser gefallen. Vom frühen Morgen bis zum anderen Tag stürzt unvorstellbar heftiger Regen aus vollständig geöffneten Himmelschleusen. Ein Jahrhundertwolkenbruch, untermalt von andauernden Blitzen und ununterbrochenem Donnerteppich. Wir hören von Häusern, die von aufgeweichten Berghängen rutschen, Brücken, die fortgerissen werden, die Hauptstadt ist abgesoffen, der Flughafen unterspült, Menschen sind in Gefahr. Fünf sterben in dieser Nacht. Acht weitere in St.  Vincent, der südlichen Nachbarinsel. Der Taxifahrer, der die Luv-Crew zum Festmahl fährt, berichtet traurig von einem Freund, dessen Taxi  in den Fluten versunken und verschwunden sei. Versichert sei er nicht gewesen und das Geld für einen neuen Wagen,  160000 EC-Dollar, habe  er nicht. Wir sind seine letzte Tour heute Abend. Er muss heim, retten was zu retten ist. Die Kirchen in diesem sehr katholischen Land sind sehr leer an diesem Heiligen Abend. Bis auf die in der Hauptstadt Castries, sie dient als Notaufnahmelager. 

Im Hafen von Rodney Bay schwappt am trüben Weihnachtsmorgen zwischen den Yachten in  brauner Brühe all der schwimmfähige Müll von St. Lucia. Erstaunliche Mengen an leeren Colaflaschen, Plastikschrott, natürlich auch natürliches: Baumstämme und Kokosnüsse. Es regnet noch immer, nicht mehr so heftig. Wir erfahren, nicht mal bei dem verheerenden Hurrikan Thomas, der vor drei Jahren die Insel verwüstete, gab es so viel Regen und Thomas hatte sich nicht einmal durch starken Wind sondern mit seinen gewaltigen Wassermassen in die Rekordbücher eingetragen. Noch immer sind seine Schäden nicht vollständig beseitigt, jetzt sind schlimme hinzugekommen. Eine Katastrophe für diese arme Insel. Meldungen darüber fanden übrigens nicht den Weg in deutschsprachige Medien. Ein zeitgleicher Stromausfall in  den USA und Canada schon. Wenn Entwicklungsländer in die Schlagzeilen wollen, müssen die Opferzahlen eben deutlich höher sein.

Jetzt also Martinique. Das erste was auffällt ist eine SMS von der deutschen Telecom. Die  Anrufe in der Europäischen Union  kosten uns  nur noch 0, 20 Cent. Das ist nun mal wirklich ein greifbarer Nutzen, den man Brüssel gutschreiben muss: Die Weihnachtsgrüsse von St. Lucia nach Hause wurden noch mit 5, 90 EUR berechnet. Pro Minute. Man glaubt ja nicht, wie kurz eine Minute ist.

Auffällig auch, was in St. Lucia allgegenwärtig und nun nicht mehr da ist: Keine paddelnden Händler, die im Hafen von ihren Plastikeinbäumen quasi im Minutentakt tropische Früchte an die Yachties verhökern wollen. Keine sonst arbeitslosen Dienstleister, die das Boot polieren, salzfrei spülen oder mit Essig  zu verschönern versprechen. Keine Männer, die ihre Dienste als Fremdenführer anpreisen, keine Frauen, die sich zur Verfügung stellen, sogar auf der Herrentoilette. Martinique ist Frankreich, Martinique ist Europa. Die Hafeneinfahrten sind ordentlich betont und beleuchtet. Die Taxen haben Taxameter. Erste Welt eben. Ein bisschen weniger bunt, ein bisschen weniger fremd.  Vertrauter. Das Wetter ist auch besser. 

Apropo Wetter: Meno Schrader, der Chef des Dienstes „Wetterwelt“ hat uns via Internet von Kiel aus einen Wetterbericht für die Passage zwischen den beiden Welten geliefert . Er liegt daneben. Höchstens fünf Windstärken sollten es werden, mal eine Bö, aber sonst ist ein schöner Törn vorhergesagt. Und was ist? In der Spitze zeigt der Windmesser 49 Knoten, Stärke Zehn!  Im Handbuch für Seefahrer gibt es dafür diese offizielle Definition: Schwere See,  sehr hohe Wellen, weiße Flecken auf dem Wasser, lange, überbrechende Kämme, schwere Brecher. 

Weihnachten auf See. Festtage in der Karibik. Pustekuchen.

Heiko Tornow 

 

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