Nichts für Anfänger, nichts für Zögerliche

Ich weiß gar nicht, womit ich diesen Bericht beginnen soll. So viel gibt es hier auf der Insel Neufundland zum Staunen, zum Bewundern, zum Kopfschütteln; da ist so viel Seltsames, Widersprüchliches, ja Wundersames. Aus all diesen Wahrnehmungen und Eindrücken in wenigen Zeilen ein stimmiges Bild über dies abgelegene und neblig-kalte Land und seine Leute zu zeichnen, muss Stückwerk bleiben. Deshalb hier nur ein kleines Sammelsurium von Kuriositäten und Auffälligkeiten vom nordöstlichsten Punkt unserer Reise.

Im einzigen Hafenhandbuch für Neufundland, das wir haben auftreiben können, werden Segler wie wir ja gewarnt, diese Küste sei „nichts für Anfänger und nichts für Zögerliche.“ In der LUV-Crew gab es zwar etliche, die ein wenig Zurückhaltung an den Tag legten, als der Reiseplan besprochen wurde. Ob das denn wirklich sein müsste? So weit weg und was das denn soll? Aber Eggert und ich hatten uns schließlich durchgesetzt; ein wenig mit dem Hinweis, dass Hafenhandbücher auch nicht immer das gelbe vom Ei seien. In unserem Exemplar findet sich zum Beispiel diese historisch interessante Information über die indianischen Ureinwohner der Insel, die Beothuk: „Als Ergebnis eines komplexen Mix von Ereignissen starben die Beothuk 1829 aus.“ Wer so etwas so schreibt, dem muss man auch sonst nicht alles glauben.

Nach stürmischer Fahrt über die Cabot-Straße binden wir die LUV im Fischereihafen von Port aux Basques an die Pier und wollen uns ein Auto mieten. Hier auf der Insel fährt jedermann mit dem eigenen Auto, jede Strecke. Der Hafenmeister, der uns die Liegegeldrechnung vorbeibringt, steigt in seinen 480 -PS-Pickup und rollt von seinem Hafenmeisterbüro bis zur LUV, ganze 67 Meter, nachgemessen!

Der nächste Autovermieter ist im benachbarten grösseren Ort, knappe 170 Kilometer entfernt. Wie man da hinkommt, wollen wir wissen. Bus? Der fährt nur einmal am Tag und zwar spät Abends und dann ist das Büro dort geschlossen. Eisenbahn? Die wurde vor 40 Jahren abgeschafft.  Taxi? Unbezahlbar.

Auf der Pier schnacke ich einen alten Mann an, ob er denn Rat wisse. Doch, ja, er habe gerade Zeit. Er könne mich hinfahren, gegen eine geringe Gebühr.

Wir haben also endlich einen Mietwagen. Wir erfahren, dass Neufundland über einen Highway One verfügt, beinahe eine Ringstraße um die Insel herum, die Südküste ist aber ausgelassen. Bis zum Hauptort St. Johns sind es so an die 900 Kilometer. Das schaffen wir nicht. Einen Highway Two gibt es nicht in diesem Land, das deutlich größer ist als zum Beispiel Dänemark.

Wir beschränken uns auf den Nationalpark Gros Morn. Auf der Fahrt dahin läuft ein ausgewachsener Elch vor uns über die Straße, frisst ein paar Baumknospen und verschwindet wieder im Wald, vier Karibus grasen auf einem Hochmoor. Kanada-Gänse, welche sonst, paddeln mit ihrem Nachwuchs in flachen Teichen. Männer in halshohen Gummihosen stehen in steinigen Stromschnellen und angeln Lachse.

In einige der Schlaglöcher passt gut und gerne eine Mülltonne. Ein Schild weist darauf hin, dass der Wind von den Bergen schon mal mit 200 Stundenkilometern herunterbrüllen kann. Hunderte abgeknickte Stämme bilden an manchen Stellen in der Landschaft bizarre Baum-Mikados und verleihen dieser Warnung Glaubwürdigkeit.

Wir erleben eine atemberaubende Landschaft. Im Süden baumlos und karg, im Norden hohe dicht bewaldete Berge und tief ins Land eingeschnittene Fjorde, da könnten die Norweger neidisch werden.  In den kleinen Fischerdörfern stehen Schneemobile in der Garage. Die Fischfabriken  an halbverfallenen Piers sind sämtlich rostige Ruinen, seit vor Jahrzehnten das Meer nach Jahrhunderten der rücksichtslosen Überfischung die vormals sagenhafte Kabeljauproduktion auf den Neufundlandbänken eingestellt hat. Wo früher bis zu 300 Menschen vom Fischfang lebten, hoffen jetzt 30 Einwohner auf zufällig vorbeikommende Touristen.

Wieder im Hafen lernen wir Maria kennen, die Stimme vom UKW-Kanal 11, die uns bei der Ansteuerung von Port aux Basques beraten hatte. Sie erzählt uns, dass die Regierung ihr den Job bei der Funkberatung mit dem Versprechen aufgeschwatzt habe, sie müsse hier „nur kurze Zeit“ ausharren und könne bald in ihrem Heimatort arbeiten, dem vergleichsweise mondänen Halifax. Nun fürchtet sie, auch in zehn Jahren noch hier zu sein. Sie sieht aber auch die positive Seite ihrer Arbeit. Sie ist absolut stressfreie. Im Schnitt hat sie es mit sechs Schiffen pro Tag zu tun. Da war die Meldung der LUV eine willkommene Abwechslung. Von der Seefahrt versteht Maria nichts. Nur so viel, dass sie erleichtert vernimmt, dass die deutschen Segler nicht weiter nach Norden wollen: “ Dort ist immer noch gefährliches Packeis.“

Aber auch im Seegebiet südlich von Neufundland ist es grade nicht gemütlich. Als wir anderntags auslaufen, erhalten wir von Maria auf Kanal 11 den aktuellen Wetterbericht der kanadischen Küstenwache: „Starkwindwarnung, Gefahr von 30 Knoten, später abnehmend“. Die Meteorologen von Neufundland sind aber leider auch nicht besser, als die bei uns daheim. In der Cabot-Street brist es erst auf 35 Knoten, dann 40 Knoten auf, der Wind nimmt schließlich auf 50 Knoten zu. Das ist ein ausgewachsener Sturm von elf Beaufort. Dafür ist es jetzt wärmer. Elf statt sechs Grad Celsius. Irgendwo weit im Süden, ist Sommer.

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