Michael kann eine sehr lange und ereignisreiche Geschichte unvergleichlich kurz darstellen. Im Logbuch der LUV steht diese Eintragung aus seiner Feder: „10.15 Uhr Uhr. Abgelegt. 10.30 Uhr. Im Kanal auf Grund gelaufen. 13.50 Uhr: Wir haben uns freimotort.“
Das kann man auch ausführlicher erzählen. Was war passiert? Am Vorabend laufen wir in den kleinen Hafen Piney Narrows ein, ein Nest im Nordwesten der ansonsten atemberaubend schönen Cheasapeak Bay, dieser maritime Wunderwelt mit breiten aber sicheren Seestrecken, tief ins Land führenden schiffbaren Flüssen, zahlreichen verwunschenen Ankerplätzen in geschützten Buchten und auf grünen Inseln zauberhafte Dörfer mit intakter Bebauung aus der Kolonialzeit.
Am Mittag auf See war uns während des Kochens der Kartoffeln das Gas ausgegangen. In Annapolis hatten wir vortags noch versucht, unsere leeren Propanbehälter auffüllen zu lassen. Aber die Anschlüsse der europäischen Gasdruckbehälter sind mit den amerikanischen nicht kompatibel und so scheiterten wir beim risikoscheuen Gashändler.
Jetzt also droht kalte Küche, noch schlimmer: Kein Kaffee. Die Rettung finden wir im Hafenhandbuch. Im Hafen von Piney Narrows, weitab von unserer geplanten Route, gibt es jedweden Service für Boote und Yachten. Nix wie hin. Im sehr ausführlichen Waterway Guide für den Cheasapeak finden wir den warnenden Hinweis, der bei Niedrigwasser sieben Fuß tiefe Kanal zum Ort versande leicht. Man solle unbedingt „lokal knowlegde“ nutzen, also den Rat der Einheimischen.
„Alles kein Problem“, sagt am Telefon der ortskundige Hafenmeister, eben gerade sei die Zufahrt nach Piney Narrows gebaggert worden, vollständig ausreichend für die 2,20 Meter tief gehende LUV. Und tatsächlich erreichen wir sicher den kleinen Hafen. Der überaus hilfsbereite Hafenmeister fährt uns kostenlos zur Gasfüllstation. Auch dort ein voller Erfolg. Die angekochten Kartoffeln werden – wenn auch verspätet- doch noch gar.
Wieder voll seetauglich ausgerüstet legen wir am nächsten Morgen ab und freuen uns auf die ruhige Nacht in der nächsten Ankerbucht. Zehn Minuten später sitzen wir fest. Mitten in der angeblich ausgebaggerten und sehr gut mit roten und grünen Seezeichen begrenzten Fahrrinne läuft die Luv sanft auf Grund. Alle Versuche, das Schiff mit Motorkraft wieder flott zu bekommen, scheitern. Wir liegen quer im Fahrwasser, regungslos, mit leichter Schlagseite. Über UKW fragen wir den freundlichen und ortskundigen Hafenmeister, wie er das erkläre. Unser Tiefgang sei eben doch zu groß, meint er. Wo denn die angeblich gebaggerte Fahrrinne besonders tief sei, wollen wir wissen. An der Backbordseite sagt er.
An der Steuerbordseite, sagt der Kapitän des Motorbootes, der an uns vorbeischippert und besorgt fragt, ob wir denn festsitzen. Diese Frage beantworten wir anderen Bootsführern ein gutes Dutzend mal. Ein kleines Anglerboot kommt vorbei. Die Insassen sehen aus, als hätten die besonders gute „lokal knowledge“. Backbord ist es tief, meint die Frau, nein Steuerbord sei es tiefer, widerspricht der Mann. Wir können die beiden bewegen, mit ihrem Fishfinder, dem elektronischen Tiefenmesser, für uns zu loten. Sie messen an backbord, sie fahren nach steuerbord und stellen fest, dass es überall doch ziemlich flach sei.
Vorsorglich fragen wir über UKW nach einem Schlepper, der uns von dem Sand ziehen könnte. Wir erhalten eine Telefonnummer, die uns mit einem wenig hilfreichen Anrufbeantworter verbindet. Wir beschließen, auf das nächste Hochwasser zu warten. Der Tidenhub ist hier zwar kaum zwei Fuß hoch, aber jeder Zoll zählt. Keine 20 Meter von uns entfernt brütet ein Fischadlerpaar auf einem der Pfähle, die das Fahrwasser begrenzen. Wir haben ausreichend Zeit, Naturbeobachtungen anzustellen. Die großen Vögel gehen abwechselnd auf Jagd und sie sind fast immer erfolgreich. Buchstäblich auf jedem zweiten Seezeichen haben diese Tiere aus dicken zweigen Nester gebaut. In den 5oer Jahren waren die Fischadler beinahe ausgerottet, weil allzu viel giftiges DDT ihre Fortpflanzungsfähigkeit ruiniert hatte. Heute sind sie in der Cheasapeak Bay häufiger als Möven.
Zwischen den Fischzügen der Adler versuche ich immer mal wieder mit der vollen Kraft unserer 65-PS-Maschine Bewegung ins Schiff zu bringen. Im aufgewühlten Schraubenwasser spült gelber Sand hoch. Die LUV dreht sich auf der Stelle. Steuerbord ist jetzt Backbord, oder war es umgekehrt? Sigrid steht mit einer Schleppleine auf dem Vorschiff und winkt bittend den vorbeifahrenden Motorbootfahrern zu. Einige machen einen großen Bogen um uns. Zwei fahren ganz dicht an uns vorbei, die Schiffsführer starren präzise geradeaus und geben vor, uns und die Schleppleine nicht zu sehen. Die Skipper von zwei kleineren Booten bieten ihre Hilfe an. Wir trauen ihren schwachen Klampen jedoch nicht allzu viel zu.
Schließlich helfen die Geduld und die Flut. Unter lautem Gedröhn des Motors drängelt sich der Kiel der LUV eine eigene kleine Furche in den Grund und findet schließlich tieferes Wasser. Langsam tastet sich das Boot durch den Kanal, findet auch die nur wenige Meter breite Rinne zur Freiheit. An Backbord übrigens. Wichtig für alle, die unseren Trip auch einmal probieren wollen.
Heiko Tornow